Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
oder in seltenen Fällen auch Ratten. Der Fluch schien sich nicht fortzupflanzen, und so ließen die Hexer ab von ihrer Jagd, davon überzeugt, dass sich das Problem in ein paar Jahrzehnten von alleine erledigen würde.
Doch stattdessen stellte sich heraus, dass nach ein paar Jahrzehnten die Enkel oder Urenkel der einstigen Rattenmenschen manchmal wieder zu Rattenmenschen wurden. Die Hexer riefen einen neuen Krieg gegen sie aus und eröffneten die Jagd von Neuem. Wieder starben Hunderte, Tausende von Rattenmenschen, bis der Rest in die finstersten Winkel der langsam wachsenden Städte getrieben war.
Bis heute leben die Rattenmenschen in den Städten. Ich bin einer von ihnen. Mickey, Anführer des Rattenclans von Bergen.«
Ihm war durchaus bewusst, dass dies nur ein Bruchteil dessen war, was die Rattenmenschen als Geschichte besaßen, doch es war alles, was er wusste. Es war immer noch mehr, als die meisten anderen seiner Brüder davon kannten. Doch Tanya war eine Queen. Sie musste früher oder später die Grundlagen der Rattenmenschenkultur erlernen. Er hatte ihr erzählt, was er konnte.
»Und die Männer, die uns angegriffen haben«, murmelte Tanya nachdenklich, »waren das Hexer?«
»Ein Teil, ja. Die anderen waren ihre Gefolgsleute.«
»Sie haben gedacht, dass ich auch ein Rattenmensch bin?«
»Ja.«
»Aber warum haben sie mich dann nicht einfach umgebracht? Sie haben es ja auch mit dir versucht!«
Mickey seufzte innerlich. Er hätte es sich denken können, dass er mit seinen halben Geschichten nicht weit kommen würde. »Du bist ein Mädchen. Das ist unter Rattenmenschen etwas Besonderes.«
»Warum?«
»Weil es nicht viele gibt. Vor dem letzten Krieg gegen die Hexer bestand mein Clan aus fast fünfzig Rattenmenschen, darunter nur eine einzige Frau. Sie ist die Königin meines Clans. Ihre Magie unterscheidet sich von der der Männer. Ihre Gestaltwandlung ist anders, sie kann keine Zwischenform annehmen und deshalb kaum kämpfen. Dafür ist ihre Telepathie bedeutend stärker. Die Hexer wollten dich wahrscheinlich verhören, um mehr über all das herauszufinden.«
»Aber ich hätte ihnen doch gar nichts sagen können! Ich wusste doch selbst nichts davon!«
»Sobald sie das herausgefunden hätten, hätten sie dich getötet.«
Eine lange Pause entstand, eine Pause, in der Tanya vermutlich das erste Mal richtig verstand, in welcher Gefahr sie sich plötzlich befand. Mickey ließ ihr Zeit und lauschte weiter auf den Regen, der gegen die Fensterscheibe trommelte.
»Und was, wenn ich das alles gar nicht will?« Ihre Stimme klang plötzlich belegt. »Wenn ich wieder zurückgehe, nach Estland?«
»Das geht nicht. Es tut mir leid.«
»Aber warum nicht?«
»Weil die Hexer nun wissen, dass du existierst. Vor allem aber wissen sie, dass
wir
wissen, dass du existierst. Die Hexer wissen, dass allein deine Existenz das gesamte Machtgefüge in Bergen auf den Kopf stellen kann, allein schon deshalb werden sie dich töten wollen. Wenn du zurückgehst, werden sie die Hexer in Estland darüber informieren, nach dir zu suchen. Nur ein Clan, ein Rattenclan, kann dich vor ihnen beschützen.«
Tanya schwieg, schwieg für eine lange Zeit, während Mickey darüber nachgrübelte, was zu tun war, wenn das Mädchen tatsächlichnach Estland zurückkehren wollte. Konnte er das erlauben? Der Clan brauchte sie so dringend! Aber war es auf der anderen Seite gut, eine Queen gegen ihren Willen festzuhalten? Was würde die alte Queen dazu sagen?
Von Tanyas Ende des Zimmers drang ein Schluchzen. Mickey sah überrascht auf. Weinte das Mädchen etwa? Er sah zu ihr, doch durch die geschlossenen Vorhänge war es zu dunkel, um irgendetwas zu sehen. Ein kurzes Schnüffeln, dann war wieder Ruhe. Verstört legte sich Mickey zurück auf den Boden und fragte sich, was er tun sollte. Sie schluchzte erneut. Die Queen, die neue Hoffnung seines Clans, die Frau, die seine Brüder in die Zukunft führen sollte, weinte. Und er wusste nicht, was er tun sollte. Er war ein Krieger, hatte in unzähligen Scharmützeln gekämpft und trug die Narben aus manch einem Gefecht auf seiner Haut – doch ein weinendes Mädchen überforderte ihn!
Sie schnüffelte weiter, schluchzte leise, unterdrückt, kämpfte ganz deutlich dagegen an. Mickey schluckte. Ihm war klar, dass die Situation etwas von ihm verlangte, aber was nur? Zu ihr rübergehen und sie in den Arm nehmen war irgendwie der Klassiker, aber was half ihr das? Und was, wenn sie ihn davonschob? Ein
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