Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
rechnest damit, dass diese Hexer hinter uns her sind, stimmt’s?«, fragte sie. Sie näselte etwas, eine Folge der vielen Tränen, die sie geweint hatte, doch sie klang schon wieder etwas sicherer.
»Ja«, murmelte er. »Ich glaube, dass wir sie abgeschüttelt haben, aber ich kann mir nicht sicher sein.«
»Hast du schon oft kämpfen müssen?«
Er zögerte, nickte schließlich. »Ziemlich oft.«
»Und hast du auch getötet?«
»Ja.«
Er spürte ihre Hand an seinem Unterarm, wo sie mit dem Finger eine seiner Narben nachfuhr. »Hattest du auch Angst, wenn du gekämpft hast?«
Die Versuchung, nein zu sagen war groß, doch Mickey widerstand ihr. »Jedes Mal«, gestand er ihr. »Ein Rattenkrieger zu sein bedeutet, mit der Angst zu leben.«
»Du wurdest verletzt.«
Mickey nickte grimmig. An den Vorfall, der zu der dünnen langen Narbe an seinem rechten Unterarm geführt hatte, erinnerte er sich noch sehr gut. Es war ein Kampf im Zuge des Waldläuferüberfalls in Bergen gewesen, auf einer Treppe hinab in die Unterwelt. Er hatte Ashkaruna gegen einen Hexer verteidigt, mit einer Feueraxt gegen einen magischen Dolch. Die Klinge hatte ihn gestreift, kurz bevor er fliehen konnte, eine flache, kaum beeinträchtigende Wunde, die dennoch zu einer ansehnlichen Narbe geführt hatte.
Erneut entstand eine Pause. Mickey wurde bewusst, in welch verfänglicher Lage er sich befand. Durch ihre Drehung lag seine Hand nun auf ihrem Bauch, sein Handtuch war verrutscht, er lag beinahe nackt im Bett einer Queen! Dazu kam noch, dass seine männliche Anatomie Absichten verriet, die sein Kopf so noch nicht einmal angedacht hatte. Nur gut, dass es im Zimmer so dunkel war, so blieb ihm noch ein Augenblick Zeit, seinen geordneten Rückzug durchzuplanen.
»Du hast heute mein Leben gerettet, nicht wahr?«
Mickey zwinkerte irritiert. »Ja«, murmelte er dann nach kurzem Nachdenken. Er war sich ziemlich sicher, dass die Hexer sie getötet hätten. »Schätze, schon.«
»Danke.«
Er spürte, wie sie sich bewegte. Als Nächstes spürte er ihre Lippen auf seinem Mund. Die Überraschung ließ ihn beinahe zurückzucken, doch er riss sich im letzten Moment zusammen.
Schreckhaftes Nagetier!
, schalt er sich. Es war ein sanfter Kuss, ihre Lippen waren dabei halb geöffnet, es war kein simpler Schmatz auf die Wange.
»Danke«, murmelte sie noch einmal und legte sich zurück.
Das war der Moment, in dem Mickey kapierte, dass sie ihn wollte, und es war auch der Moment, in dem er kapierte, dass er sie ebenfalls wollte. Er konnte es tun, er konnte hier mit seiner zukünftigen Queen schlafen, einem Mädchen, das nicht nur wegen des Geldes mit ihm ins Bett gestiegen war. Er spürte, wie sein Mund plötzlich trocken war, wie sein Herz schneller schlug.
Langsam beugte er sich zu ihr herab. »Das ist meine Aufgabe«, murmelte er dabei. »Es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen.« Und er meinte es auch.
Ihre Lippen trafen sich erneut, doch dieses Mal war er darauf vorbereitet. Während sie sich küssten, ließ er seine Hand unter die Decke wandern. Ein kleiner Teil von ihm dachte an seine Queen zu Hause, die er liebte als loyaler, stets treuer Diener und Beschützer, und wie anders es doch hier mit diesem jungen Mädchen war. Ein Teil dachte an Spider, dachte daran, wie sehr der Albino nach einem Mädchen suchte, wie sehr er ihn darum gebeten, nein,
gebettelt
hatte, mit der jungen Queen fliehen zu dürfen. Er dachte an das Gespräch mit der alten, in dem sie ihn angewiesen hatte, die Augen offen zu halten nach einer passenden Freundin für Spider, und wie sehr nun alles ganz anders lief als geplant.
Das ist dumm!
, schalt ihn eine innere Stimme.
Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm!! Spider wird dich umbringen!
Doch er ignorierte sie, und als er Tanyas Hand auf seiner Haut spürte, den Geschmack ihrer Lippen auf seiner Zunge schmeckte, ihren Atem in seinem Gesicht roch, hörte er die Stimme nicht einmal mehr.
KEELIN (4)
A7 zwischen Hamburg und Hannover, Deutschland
Freitag, 05. November 1999
Die Außenwelt
Es war eine dunkle Nacht, dicht bewölkt und sternenlos. Die Straße war schwarz und nass von den gelegentlichen Regenschauern. Der Mittelstreifen der Autobahn blinkte im bleichen Scheinwerferlicht regelmäßig auf und ab. Es waren nur wenige andere Fahrzeuge unterwegs, fast ausschließlich Lastwagen, die in kleinen Rudeln gemeinsam die Gefahren der nächtlichen Autobahn riskierten. Autos hatte Keelin noch kein einziges gesehen, seitdem sie
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