Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Westen driftete, auf ein großes Bergmassiv zu, das etwa fünfhundert Meter über dem See aufragte. Er schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg nach Süden fort. Blödsinniger Einfall.
Folge dem Adler!
Erneut blieb er stehen. Wie kam er auf die Idee? Was sollte es nützen? Der Vogel kreiste nun über dem nördlichen Hang des Berges, der ein wenig einfacher zu begehen war als das Massiv selbst. Aber was der Flug dieses Tiers mit ihm zu tun haben sollte …
War es ein Geist, der versuchte, mit ihm in Kontakt zu treten?
»Warum?«, fragte er laut.
Du wirst finden, wonach du suchst.
Es war eine klare Antwort auf seine Frage. Ein Geist befand sich in der Nähe, hier in der Außenwelt. Wahrscheinlich nicht manifestiert, zumindest nicht so, dass Derrien ihn sehen konnte, aber zumindest in der Lage, mit ihm zu kommunizieren. Es sei denn, der Adler war der Geist. Derrien spielte mit dem Gedanken,seine verbesserte Wahrnehmung zu aktivieren, um den Vogel genauer zu untersuchen. Er entschied sich dagegen. Was würde es ihm bringen?
Schulterzuckend bog er vom Weg ab, um der Anweisung zu folgen. Schließlich hatte er nach der Konfrontation mit dem Wald gesucht. Jetzt hatte er sie.
Der Weg, den der Adler ihm wies, führte am Nordrand des hohen Berges vorbei, parallel zu dem Tal, in dem die Straße verlief. Der Wald wurde allmählich wieder dichter und schneeärmer. Bald war es möglich, einen Blick hinter den Berg zu werfen, wo sich nach einem ausgeprägten Einschnitt ein weiterer, noch höherer Gipfel anschloss. Beide Gipfel waren über einen graufelsigen hohen Grat miteinander verbunden, der sich hinter dem Einschnitt entlangzog. Der Adler kreiste nun genau über dem Einschnitt, zweifellos dem Ziel, das Derrien ansteuerte.
Während er weiterging, beschlich ihn das Gefühl, beobachtet zu werden.
Das liegt daran, dass du beobachtet wirst
, dachte er bei sich, doch das Wissen darum machte es nicht einfacher. Er grübelte darüber nach, was er wohl am Ende seines Weges finden würde: vielleicht einen mächtigen Geist, der ihn danach befragte, weshalb er als Kelte in den Germanenwald eingedrungen war? Oder einfach nur eine Falle, um ihn möglichst effektiv umzubringen? Das Risiko war ihm durchaus bewusst gewesen, bevor er zu dieser Reise angetreten war, doch der Kontakt zu den Waldläufern – so sie tatsächlich existierten und nicht zu einer elaborierten Falle Rushais gehörten – war wichtig genug, es einzugehen. Waldläufer im Romsdalsfjord konnten ihn plötzlich wieder in das Spiel bringen, das er bereits aufgegeben hatte, den Kampf gegen Rushai. Vielleicht bekam er so doch noch einmal die Gelegenheit, sich an dem verfluchten Bastard zu rächen.
Nach einem letzten, steilen Anstieg, der ihn gehörig ins Schwitzen brachte, öffnete sich vor ihm der Wald und gab den Blick frei auf einen Bergsee, von mit Kiefern und Birken bewachsenen Felsen umrahmt. Links und rechts erhoben sich majestätisch die beiden Berggipfel, auf der Rückseite befand sich einetwa fünfzig Meter hoher Anstieg, hinter dem Derrien einen weiteren See vermutete. Von den Felsen hingen gefrorene Wasserfälle herab, die im Sommer als spektakuläre Kaskaden in den Einschnitt herabfallen und letztendlich als kristallklare Bachläufe in den See münden würden. Es war ein magischer Ort. Derrien hätte nicht das schwache Pochen in seinen Schläfen gebraucht, um es zu spüren.
Er ging weiter, entschied sich gegen die von jungfräulichem Schnee bedeckte Eisfläche des Sees und für das felsige, schwierigere Ostufer. Das Pochen wurde stärker, bald spürte er, wie die Präsenz einer Pforte sein Bewusstsein erweiterte. Schließlich fand er einen Pfad und folgte ihm zu dem Anstieg. Er spürte die Felsen um sich herum, die Bäume mit den schlummernden Lebensfunken darin, die auf das Frühjahr warteten, den Adler, der noch immer über ihm seine Kreise zog.
Schließlich gelangte er oben an das Ende des Anstieges. Vor ihm öffnete sich der Einschnitt zu einem weiteren See, nur wenig kleiner als der darunter. Von drei Felswänden eingekesselt, war er noch einmal spektakulärer. Bäume drängten sich an seinem Ufer und klammerten sich noch hundert Meter oberhalb an jede Felsritze, die sie nur finden konnten. Dazwischen befanden sich weitere Wasserfälle, ebenso vereist wie ihre Brüder am unteren See.
Hier war der Magiestrom inzwischen stark genug, dass Derrien den gesamten Einschnitt erspüren konnte: die Fische im See, die in einer solchen Höhe eigentlich nicht
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