Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
existieren durften, die Vögel in ihren Baumhöhlen, die Nagetiere in ihren Verstecken. Den mächtigen Wächtergeist, der unter dem See schlummerte und von anderen Zeiten träumte. Den winzigen Windgeist, der ihn entdeckt hatte, der ihm gefolgt war und in dieses Hochtal gelotst hatte.
Derrien brauchte keine Anweisung, um zu wissen, was er zu tun hatte. Nachdem er seine Außenwelt-Ausrüstung abgelegt hatte, ging er in die Knie, stützte seine Ellbogen auf einen Felsen und begann zu beten, während er der Magie erlaubte, durch seinenKörper zu fließen, ein wärmender Strom aus purer Energie. Nebel stiegen aus dem Boden auf und hüllten ihn ein, während er hinüberwechselte in die Innenwelt.
Er hatte damit gerechnet, erwartet zu werden. Deshalb gelang es ihm auch, ruhig zu bleiben, als er plötzlich einem richtiggehenden Schildwall gegenüberstand, der sich halbkreisförmig vor ihm aufgebaut hatte. In seinem Rücken befand sich der See, der ihm den Fluchtweg abschnitt.
Doch Flucht gehörte sowieso nicht zu seinem Plan. »Wer ist euer Anführer?«, fragte er entschlossen, obwohl er bereits vermuten konnte, um wen es sich handelte – nur einer von ihnen trug Helm, Kettenhemd und Schwert und besaß noch dazu Körpergröße und Statur eines echten Anführers.
»Ich«, meinte dieser dann auch. Er sprach wie Derrien Englisch, doch sein bretonischer Akzent war deutlich herauszuhören.
Derrien sah ihn etwas genauer an. Knapp eins neunzig groß, muskulös und durchtrainiert, ein wallender Schnauzer, der Kinnbart darunter zu zwei kleinen Zöpfen geflochten, ein kantiges Gesicht, vor der Zeit gealtert durch Wind und Wetter. Ohne Zweifel ein Seemann …
Der Mann schien ihn ebenfalls zu erkennen. Der Blick war skeptisch irritiert, so als ob er nicht recht entscheiden konnte, ob er ihn nun kannte oder nicht. Schließlich jedoch überwog die Überzeugung, so dass der Bretone schließlich fragte: »Derrien? Herr Derrien, seid das wirklich Ihr?«
»Ich bin es.«
»Nehmt die Waffen runter! Das ist ein Freund!«
Die Männer folgten dem Befehl ihres Anführers, ein Teil davon sofort, ein Teil mit etwas Verzögerung, so als ob sie die Worte nicht ganz verstanden hätten und erst agierten, als es ihre Gefährten vormachten.
Gemischt keltisch-germanisch
, schloss Derrien daraus.
Oder keltisch-fomorisch. Wer weiß das schon diese Tage …
Dann zog der Anführer den Helm vom Kopf. Zum Vorschein kam ein rundlicher Schädel, den sich der Mann komplett kahlrasiert hatte. Die wasserblauen Augen lagen eng beieinander, so eng, dass ihn einige Männer aus Kêr Bagbeg oftmals als engstirnig bezeichnet hatten …
»Morrigan und Dagda«, stieß Derrien aus. Es war Seog, Krieger-Druide und einstiger Schüler Ronans. Seog, der während des Germanenaufstandes umgekommen war, beim Gefecht an der Furt … »Mir haben alle gesagt, du wärest tot!«
»Ich war tot«, erwiderte der Mann. »Ein halbes Jahr lang. Ich bin erst seit einem Monat wieder unter den Lebenden.«
»Und
du
bist Anführer der Rebellen vom Romsdalsfjord? Ihr nennt euch Waldläufer?«
Seog wog bedächtig den Kopf. »Die Nain haben damit angefangen, uns Waldläufer zu nennen. Als ich es hörte, hielt ich es für eine gute Idee. Der Name Waldläufer jagt den Nain gehörige Angst ein, Angst, die uns nützen kann. Dies hier ist übrigens Hauptmann Gwezhenneg. Er hat sich bei Espeland bewiesen und leistet mir hier gute Dienste.«
Dabei deutete Seog auf einen mausgesichtigen, sehnigen Mann mittlerer Größe, den Derrien selbst auf einen zweiten Blick nicht für einen Hauptmann gehalten hätte. Er nickte ihm kurz zu und vergaß ihn sogleich wieder.
»Kommt, Herr.« Seog schulterte seinen Schild und winkte ihn mit sich. »Ich bringe Euch zu meinen Männern.«
»Dann hast du noch mehr Krieger?«, fragte Derrien, während er ihm zum Hang folgte, wo es hinunter zum unteren See ging.
»Viel mehr«, kam die Antwort. »Knapp dreihundert. Aber nur hundert davon sind Krieger.«
Als sie den Hang erreichten und Derrien hinab zu dem unteren See blicken konnte, sah er auf Seogs Lager. Zwischen den Bäumen und Felsen zählte er fünf Zelte, vor denen die Spuren zu einem Wasserloch führten, das die Männer in das Eis des Sees geschlagen hatten. Fünf Zelte, das ergab nach Derriens Waldläufermethode zwanzig bis dreißig Mann. Nicht so viele, wie Seoggerade eben noch angedeutet hatte, aber genug für einen Überfall. Mehr als genug. Vermutlich waren die anderen Krieger in Seogs Basislager
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