Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Nain-Schildwall tat das, was fast jeder durchstoßene Schildwall tat: Er brach. Die Fomorer hatten die Überzahl gehabt, sie hatten das Selbstbewusstsein gehabt, die Gewissheit des Sieges. Nun hatten sie gesehen, dass sich der Feind keinesfalls aufgegeben hatte, sich im Gegenteil wackerer schlug, als sie es sich in ihren schlimmsten Alpträumen ausgemalt hatten. Ihre Moral schmolz dahin wie Butter in der Sonne. Kreischend, heulend rannten sie davon, steckten die Krieger in dem Kreis um Derrien an mit ihrer Panik, strömten über den Marktplatz davon. Selbst die Ankunft zweier Verstärkungstrupps, auf die sie so lange gewartet hatten, konnte sie nicht aufhalten.
Derrien sah den Angriff nicht, dazu waren zu viele Nain-Krieger dazwischen. Doch er konnte ihn hören, das Krachen der Schilde, den Gesang von Stahl auf Stahl, das Ächzen der Metallriemen, mit denen die Schilde bezogen waren. Er hörte das Geschrei des Krieges, das Chaos, das in jedem einzelnen der Kämpfer steckte und sich in dem Gebrüll einen Weg nach draußen bahnte. Er sah den Wall schwanken, sah ihn sich durchbiegen, sah ihn brechen. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Ewigkeit es für die Kämpfendengedauert haben mochte, hier durchzustoßen, doch es konnte nicht länger gedauert haben als eine Minute.
Und dann war plötzlich der Weg offen in die Freiheit, als die Panik der Fomorer auch die Männer im Ring um seine Waldläufer ansteckte. Die Schatten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unter ihnen waren, rannten den fliehenden Männern hinterher, weniger aus Panik als aus rationaler Angst um ihr Leben. Und Rushai griff nicht ein.
Derrien wunderte sich nicht lange darüber. Stattdessen rannte er los, den Waldläufern entgegen, die ihm die Flucht ermöglicht hatten. Seog war in ihrer Mitte, einen Schild mit so großen Kerben in der Hand, dass er sich beim nächsten Hieb vermutlich in seine Bestandteile auflösen würde, ein zerbeulter Helm auf dem Kopf, ein schartiges Schwert in der Hand. Der Druide war so sehr von Blut überströmt, dass Derrien im ersten Moment glaubte, dass Seog schwer verletzt war, doch stattdessen wirkte der Druide kaum angeschlagen. »Kommt!«, schrie Seog ihm entgegen, eine Aufforderung, die sich Derrien nicht zweimal sagen lassen musste. Sie rannten los, die Waldläufer im Schlepptau, die mit Derrien auf dem Marktplatz ausgeharrt hatten und die, die Seog gegen den Schildwall gefolgt waren. Er hatte die beiden Fomorer-Trupps gesehen, die just in diesem Moment auf den Marktplatz geströmt waren, genau einen Moment zu spät. Jetzt durften die Nain sie nur nicht einholen, Laufen war die Devise, Laufen, Laufen, Laufen! Sein Atem kam hart und stoßweise, trotz der Kälte rann ihm der Schweiß in Sturzbächen von der Stirn.
Jetzt schnell genug sein!
, dachte er, nur daran. Schnell genug aus der Stadt sein, bevor die Nain die Schlinge noch einmal zuziehen konnten.
Rushai konnte nichts anderes tun, als fassungslos zu beobachten, wie ihm Derrien ein weiteres Mal von der Schippe sprang. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass der verzweifelte Angriff der Waldläufer auf die frisch ausgeruhten Krieger des Schildwalls Erfolg haben könnte, insbesondere deshalb nicht, weil sich allein vier Schatten unter den Männern befanden.
Doch die Waldläufer waren durchgestoßen. Rushai hatte seine Gelegenheit verpasst, Derrien für immer aus dem Weg zu schaffen, und dies allein deshalb, weil er zu lange gezaudert hatte, nicht zu viele seiner Krieger hatte verlieren wollen.
Du NARR!
, schrie er sich an,
du furchtbarer Narr!
Als ob es auf das Leben von fünf, zehn oder gar fünfzig Fomorern angekommen wäre! Wut stieg in ihm empor, glühend heiß und brennend, so heftig und intensiv, dass er ihr nichts entgegenzusetzen hatte. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er die Schattengestalt annahm, mit einem weiteren Ruck riss er
Angurvadel
aus der Scheide. Hasserfüllt setzte Rushai den flüchtigen Waldläufern nach.
Derrien bemerkte die Blockade schon von weitem. Es war keine richtige Straßensperre, es war ein Schildwall auf einer großen Kreuzung, ein Waldläuferschildwall, größtenteils überlappt von dem der Nain und zu einem Halbmond zurückgebogen. Ein Mann schrie aus Leibeskräften »HALTEN! WIR HALTEN! KEINEN SCHRITT ZURÜCK! KEINEN SCHRITT ZURÜCK!« Es war die Stimme des unscheinbaren Bretonenhauptmannes, Gwezhenneg, der die Nain davon abgehalten hatte, die Straße entlangzulaufen und Seogs Keil in den Rücken zu fallen,
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