Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
doch nun stand er in arger Bedrängnis. Der Feind war zu stark, die Krieger waren zu zahlreich. Gwezhennegs Wall war auf eine einzige Reihe ausgedünnt, der nächste Mann, der zu Boden ging oder auch nur im falschen Moment zurückwich, würde eine klaffende Lücke zurücklassen, an der die Nain den Wall aufreißen würden wie ein Jäger den Bauch eines Stücks Wild. Genauso blutig würde es werden.
»Wir müssen ihm helfen!«, schrie Seog.
Derrien dachte kurz darüber nach, den Schildwall zu umgehen, doch er konnte bereits die Nain-Verstärkung hören, die in den Gassen um sie herum näher kamen. In Kürze würde es hier zu einem Schlachtfest kommen, das garantiert nicht zu Gunsten der Waldläufer ausfallen würde. Also mussten sie den Feind vorher schlagen, doch Derrien hatte nicht den Hauch einer Ahnung,wie.
Morrigan!
, schrie er in Gedanken zum Himmel.
HILF MIR!!
Du hast die Kraft, dir selbst zu helfen.
Derrien erstarrte. Er hatte diese Stimme schon einmal gehört. Damals, als der Rabenlord Ashkaruna Derrien für sein finsteres Ritual vorbereitet hatte. Es war die Stimme der Morrigan gewesen. Sie hatte ihm damals das Leben gerettet.
Würde sie ihm tatsächlich noch ein zweites Mal helfen?
»Herrin Morrigan!«, flüsterte er hektisch. »Wie? Wie kann ich mir selbst helfen?«
Eine kurze Pause entstand. Dann antwortete sie, diese starke, tiefe Frauenstimme: Spüre die Kraft!
Er zwinkerte verwirrt. Doch schon im nächsten Moment wusste er, was sie gemeint hatte – er spürte tatsächlich die Kraft, die Magie, die anfing, in ihm zu brodeln und zu vibrieren, in seine Arme und Beine lief und seine Haare aufstellte. Der Verwandlungszauber war zurück. Die Göttin gab ihm die Chance, die mächtige Magie so kurz nach dem letzten Mal ein zweites Mal einzusetzen.
»DERRIEN!«, schrie ihm Seog ins Ohr. »Derrien! Wir haben keine Zeit mehr!«
Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, was Seog meinte. Die Nain-Verstärkung vom Marktplatz war hinter ihnen, während vor ihnen Gwezhennegs Schildwall kurz vor dem Zusammenbruch stand. Seog hatte Recht – sie hatten keine Zeit mehr! »Halte sie auf!«, befahl Derrien. »Baue einen Schildwall und halte sie auf! Gib mir fünf Minuten! Nur fünf Minuten, und ich breche vorne durch!«
Seog warf einen zweifelnden Blick in Gwezhennegs Richtung, nickte dann aber. »Ja, Herr.« Ohne Zeit zu verlieren, schrie er seine Leute zusammen: »SCHILDWALL! SCHILDWALL! AN MEINE SEITE!« Und die Krieger bewiesen ein weiteres Mal ihren überwältigenden Mut, Seogs Befehl Folge zu leisten, in einer ausweglosen Situation nicht aufzugeben, nicht in Panik zu verfallen. Sie gruppierten sich um ihn, reihten Schild an Schild, Reihe anReihe. Für einen Moment beneidete Derrien ihn, beneidete ihn um die Magie, die Seog besaß, ohne es zu wissen. Es war die Kraft der mutigen Aura, die allen, die an seiner Seite kämpften, außergewöhnliche Tapferkeit einflößte. Nur so hatte Seog damals bei Espeland die verloren geglaubte Flanke halten, nur so hatte sein wilder Rebellenhaufen solche Erfolge gegen die Nain erzielen können. Nur so würde er nun die Männer bei der Stange halten, um Derrien die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Es war ein Himmelfahrtskommando, das war Derrien klar, denn wenn Seogs Schildwall erst einmal mit dem der Nain-Verstärkung verkeilt war, hatten die Männer keine Chance mehr, sich zu lösen und davonzukommen. Derriens Flucht würde mit ihrem Leben erkauft werden. Mit Seogs Leben.
Derrien knirschte mit den Zähnen. Er konnte nichts daran ändern. Die einzige Alternative war, selbst mit in den Tod zu gehen. Und wem würde das nützen außer den Schatten? Frustriert ballte er die Hände zu Fäusten, während er sich auf die Verwandlung konzentrierte.
Fünf Minuten hatte Derrien gefordert. Seog war sich nicht sicher, ob er sie ihm geben konnte. Sein Schildwall war zwei lächerliche Reihen stark, und das, was da die Gasse entlang auf ihn zukam, war eine Horde. Abgesehen davon fragte er sich, wie er im Anschluss, wenn Derrien tatsächlich durch den Schildwall gestoßen war, jemals seine Männer aus dem Gefecht lösen sollte. Er hätte ihn fragen sollen, Derrien hätte bestimmt eine Antwort darauf gehabt.
Auf einen Kommandoruf stürmte die Horde los, wüstes Kriegsgebrüll auf den Lippen. Seog drängte die Gedanken zur Seite, stemmte sich in den Boden. »HALTET DIE LINIE!«, schrie er.
Krachend prallten die Schilde aufeinander. Der Schildwallkampf begann.
Der Schildwall
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