Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
als er gerade den Schwertgürtel und die Arm- und Beinschienen abgelegt hatte und dabei war, aus seinem Kettenhemd zu schlüpfen. »Ich glaube«, eröffnete der müde wirkende Schatten, »dass Ihr das nicht tun wollt.«
Rushai hielt inne. Sein Innerstes vibrierte plötzlich angespannt. Die ganze Nacht hatte er darauf gewartet, dass der Hammer fallen würde. Nun, da er endlich begonnen hatte, sich zu entspannen, würde es passieren? »Warum?«
Das Jokerface stieg breitbeinig über eine Bank und ließ sich darauf sinken. »Nun, mein Lord. Bei Euren Vorposten ist es ruhig. Eure Ranger haben sich wie vereinbart zurückgemeldet. Sie haben ein paar versprengte Flüchtlinge entdeckt, aber nichts, was Eure Besorgnis erregen sollte. Die Reitertrupps melden bisher keine Zwischenfälle, bis auf das, was ich Euch vorhin schon bezüglich Ranger Centurix berichtet habe.«
Rushai starrte ihn ungerührt an.
Geshier zuckte mit den Schultern. »Es ist Trollstigen, Herr.«
»
Was
ist Trollstigen?«
»Umkämpft. Möglicherweise schon gefallen.«
Rushai glaubte, sich verhört zu haben. Als er vor zwei Tagen mit mehreren tausend Mann Trollstigen erobert hatte, hatten ihn die zweihundert Germanen dieser Fürstin Gudrun über
Stunden
hingehalten. Rushai hatte fünfhundert Mann als Garnison zurückgelassen, mehr, als Derrien Waldläufer hatte. Derrien
konnte
die Festung einfach nicht erobern!
Auf seinen starren Blick hin sprach Geshier weiter: »Ich habe einen Boten abgefangen, den die Garnison geschickt hat. Von ihm habe ich erfahren, dass eine Gruppe Übernatürlicher in die Festung eingedrungen ist und nach und nach die Türme erobert. Keiner weiß, zu wem die Männer gehören, nicht einmal, ob es keltische Druiden oder germanische Jarle oder vielleicht sogar Lord Tanashs Schatten sind. Koshar hat offenbar kalte Füße bekommen und bittet um Hilfe.«
»Es sind Waldläufer«, kommentierte Rushai. Niemand anders besaß südlich des Trollstigenpasses Truppen. Vielleicht hatten sie Verstärkung bekommen? Rushai griff nach den Lederschienen und begann, sie zurück an seine Unterarme zu schnallen. »Gib den Heerführern Bescheid, dass ich sie zur Versammlung brauche. Hier. So schnell sie kommen können.«
»Und was soll ich den werten Schattenherren berichten?«
Rushai knirschte mit den Zähnen. »Wenn die Festung gefallen ist, müssen wir so schnell wie möglich einen Gegenangriff einleiten. Die Vorbereitungen dafür müssen sofort beginnen. Wir brauchen Sturmleitern und tragbare Rammen, wir müssen unsere Truppen formieren und vorbereiten.«
Das Jokerface zog die Augenbrauen nach oben. »Trollstigen angreifen? Von der uneinnehmbaren Nordseite? Das wird ihnen nicht gefallen.«
»Natürlich nicht. Aber ich bin nicht ihr Heerführer, um ihnen zu
gefallen
! Los jetzt!«
»Hmmmm.« Geshier erhob sich von der Bank und ging behäbigen Schrittes nach draußen.
Rushai setzte sich an seiner Stelle auf die Bank und starrte ins Leere. Jetzt Trollstigen zu verlieren wäre ein Desaster. Nur zu gut wusste er über die miserable Verpflegungssituation im Tal des Romsdalsfjords Bescheid. Er war angewiesen auf Handelszüge aus dem Süden, um seine Truppen nicht dem Hunger auszusetzen.Der Seeweg war aufgrund der wenigen Schiffe in seinen Händen unzureichend für eine Versorgung, ganz zu schweigen von einer Evakuierung. Was blieb, war der Landweg. Und der führte über Trollstigen.
Plötzlich ergab Derriens Zusammenarbeit einen Sinn. Falls es den Waldläufern tatsächlich gelang, die Festung zu nehmen, saß Rushai mit seinen Truppen fest, gefangen zwischen Trollstigen im Süden, dem Germanenwald im Westen, den Helvetiern am Ende des Raumatals sowie den Germanen Trondheims im Nordosten. Falls dies tatsächlich Derriens Plan war, waren Germanen und Helvetier bereits über seine Pläne informiert und marschierten in diesen Augenblicken schon auf ihre Positionen. Ihre Armeen würden der Hammer sein, Trollstigen der Amboss, zwischen denen alle von Rushais Plänen aufgerieben würden.
»VERDAMMT!!!«, brüllte er. Er hätte wissen müssen, dass Rache allein nicht ausreichte, damit Derrien sein eigenes Volk verriet. Dann riss er sich zusammen. Wüten und Toben würden ihm nicht weiterhelfen. Wenn die Waldläufer Trollstigen genommen hatten, musste er es angreifen, um aus der Falle entkommen zu können.
Von Norden aus. Der uneinnehmbaren Nordseite Trollstigens.
MICKEY (3)
Åndalsnes am Romsdalsfjord, Norwegen
Mittwoch, 03. November 1999
Die
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