Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Außenwelt
»Du bist ein Lügner, Harald«, erklärte Mickey geduldig. »Ein verdammter, verlogener Lügner. Du weißt ganz genau, wo du unseren Mann gesehen hast, und du weißt auch, dass du es uns erzählen wirst. Die einzige Frage, die sich stellt, ist die,
wann
du es uns erzählen wirst. Bevor wir dir die Zähne aus dem Mund brechen oder danach. Hast du eine gute Krankenversicherung, Harald?«
Der entsetzte Blick, den Harald ihm zuwarf, sprach Bände. Der Elektriker besaß überhaupt keine. Eine Krankenversicherung war jedoch nicht das Einzige, was Harald nicht besaß. Er besaß außerdem keine Subtilität, keine Selbstbeherrschung, keine Standhaftigkeit und dem Geruch nach zu urteilen auch keine Blasenkontrolle. Spätestens beim ersten Zahn würde er seine Geheimnisse preisgeben wie eine geplatzte Wassermelone.
»Zange«, befahl Mickey und streckte seine Hand aus.
Armstrong trug eine Sturmhaube aus schwarzem Stoff, so dass man außer seinen Augen kaum etwas von ihm erkennen konnte. Es reichte jedoch, um zu sehen, dass er darunter bis über beide Ohren grinste. Der Rattenmensch kramte eine Zange aus der Werkzeugkiste, die sie im Keller des verlassenen Gebäudes gefunden hatten, und drückte sie Mickey in die Hand.
Mickey hielt Harald die Zange vor die Augen und drehte sie etwas, so dass der schwarze Lack auf dem Werkzeug im Licht der Kellerlampe glänzte. »Deine Entscheidung, Harald«, meinte er. »Ich hoffe, dir schmeckt Suppe.« Er öffnete die Zange und setzte dazu an, einen der Schneidezähne im Mund des Elektrikers zu greifen.
»Halt, halt, halt!«, keuchte Harald.
»Ja?«
»Ich … ich werde es euch erzählen! Bitte, lasst meine Zähne in Frieden!«
»Also gut. Noch einmal: Wo hast du den Mann gesehen?«
»In … in einem Haus … Ich war da, weil ich … weil ich ein Funkgerät installieren musste, vor einem halben Jahr, glaube ich.«
Mickey wechselte einen kurzen Blick mit Spider, der am Fenster saß und darauf aufpasste, dass ihnen nicht doch noch jemand gefolgt war. Der Albino zog überrascht die Augenbrauen hoch. Es klang so, als ob sie bereits den Jackpot gelandet hätten.
»Wo war das?«, fragte er weiter.
»Ich … Ich … Das kann ich euch nicht sagen!«
»Oh, oh …« Mickey griff wieder nach der Zange. »Noch einmal: Glaubst du wirklich, dass du damit durchhältst, bis wir am Ende deiner Zähne, deiner Finger, deiner Zehen, deiner Augen, deiner Ohren, deiner Nase und deines Schwanzes angekommen sind? Wenn ja, lohnt es sich, den Mund zu halten. Wenn nein, kannst du uns auch gleich jetzt alles erzählen. Das erspart uns die Sauerei und dir Körperteile.«
Haralds Adamsapfel machte einen Satz, als er schlucken musste. »Es war in der Nesgata!«
»Wo genau?«
»Nesgata 3!«
»Gut. Wer war da noch, als du dort warst?«
»Zwei Männer, Bjørn und Martin, und eine Frau, Nachname Evensen. Mehr weiß ich nicht! Wirklich!«
»Warum hast du uns vorhin angelogen?«
»Der Typ vom Foto hat mir Geld gegeben! Er wollte nicht gesehen werden, es war Zufall, dass wir uns über den Weg gelaufen sind! Er hat mir dann gesagt, dass er ein Schwerverbrecher ist, dass er oder einer seiner Freunde mich finden würde, wenn ich etwas erzähle!«
»Aha.« Das erklärte zumindest, warum Harald versucht hatte,sein wissen vor ihm zu verbergen. Damit waren die wichtigsten Fragen geklärt, doch Mickey hatte noch einige mehr auf Lager. Wenn sie heute Nacht noch in dieses Sichere Haus einstiegen, wollte er bis dahin alle Informationen besitzen, derer er irgendwie habhaft werden konnte. Und Harald war, nachdem er einmal angefangen hatte, ohnehin äußerst redefreudig. Mickey hielt ihn nicht auf.
Donnerstag, 04. November 1999
Stunden später standen sie auf der Nesgata nahe der Hausnummer drei. Es war ein zwischen zwei größeren Ziegelhäusern eingepferchtes kleines Holzhaus mit Garten, um den eine dichte Hecke aus Thujabüschen gepflanzt war. Der Zugang zum Haus war von der Straße aus nicht einsehbar.
Mickey hatte sich für ein subtiles Eindringen entschieden. Nach dem Regen des Abends hatten sich die Wolken wieder verzogen, so dass nun Sternenlicht vom Himmel fiel. Für einen Einbruch in Menschgestalt war es ihm ein klein wenig zu hell.
Sie hatten ihre Sachen in der Böschung der nahen Bahnlinie versteckt und ihre Tiergestalt angenommen. Erfahrene Rattenmenschen wie Armstrong und Spider formten dabei zwei Körperratten, Veteranen sogar drei. Vor Hamburg hatte sich Mickey in drei Körperratten
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