Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
hatte Armstrong die Antwort bereits mitgeliefert – Angst und Panik hatten sie davon abgehalten, allzu aufmerksam zu sein. Dazu noch sein Leichtsinn –
»Du weißt, was wir tun müssen«, unterbrach Spider seinen Gedankenfluss.
»Ha!«, machte Mickey. Doch Spider hatte Recht. Es war eines der ältesten Gesetze der Rattenclans: Wer das Geheimnis über sieerfuhr und nicht dazugehörte, musste sterben. Früher hätte das Mickey auch nichts ausgemacht, sein Hass auf die Menschen war immer groß genug gewesen, um sich über irgendwelche Gewissensbisse hinwegzusetzen. Doch wie er gerade eben schon festgestellt hatte, war er nicht mehr der Mickey von früher. Der Anblick der todgeweihten Gefangenen in den Gefängnissen unter Hamburg hatte ihn grundlegend verändert, nicht zuletzt deswegen, weil er selbst genau die gleichen Gefängnisse geführt hatte, unterirdische Käfige mit Tausenden von Gefangenen, die meisten geopfert bei Lord Ashkarunas Dämonenbeschwörung. Das Töten Unschuldiger fiel ihm nicht mehr so leicht wie früher. Vor allem, weil er erst seitdem in der Lage war, das Konzept der Unschuld mit den Menschen in Verbindung zu bringen.
Was für eine Kacke, aber er wollte diesen Jungen nicht töten!
»Was machst du hier?«, fragte Mickey noch einmal, um Zeit zu gewinnen, um einen Grund zu finden, es nicht zu tun. Er nahm die USP herunter und steckte sie zurück in seinen Hosenbund. »Musst du morgen nicht arbeiten?«
»Bin arbeitslos«, murmelte der Junge.
»Wie heißt du eigentlich?«
Der Junge zögerte kurz. »Shaka«, meinte er dann.
»Und was wolltest du von mir?«
Shakas Augenbrauen kräuselten sich verständnislos.
»Du hast gesagt, dass du nach mir gesucht hast. Warum?«
»Ach so.« Der Junge schnüffelte. »Ich habe von dir geträumt.«
»Boss, wir haben keine Zeit!«, mahnte Spider zur Eile.
»Hey, Boss!«, raunte Colt.
»Wartet!«, knurrte Mickey. »Du hast von mir geträumt?«
Was für ein Blödsinn!
»Ja. Von dir und deinen … Freunden.«
»Boss!«, flüsterte Colt noch einmal, eindringlicher als vorher.
Mickey wirbelte herum. »Was ist?«, zischte er zornig.
»Er ist ein Rattenmensch.«
»WAS?«
»Er ist ein Rattenmensch, Boss. Seine Aura ist wild und ungezähmtund irgendwie komisch, er hat den Ritus der Ratte noch nicht durchgeführt, aber er ist definitiv ein Rattenmensch!«
Mickey starrte ihn mit offenem Mund an. Dann schloss er ihn mit lautem Klacken und sah zurück zu Shaka, sein Magiegespür bereits aktiviert.
Die Aura des Jungen war nicht zu übersehen. Sein ganzer Körper hatte rötlich zu schimmern begonnen, das eindeutige Indiz für seine Magie, unterbrochen und zum Teil verhüllt von sich bewegenden und verändernden Schleiern und Schlieren. Sie war stark – ein Ritus der Suche würde ihn wahrscheinlich auf mehrere Kilometer Entfernung noch aufspüren. Wie die Hexer ihn hatten übersehen können, war ihm ein Rätsel. Die Aura war tatsächlich die eines wilden Rattenmenschen, und ja, da waren auch die unterschwelligen Strömungen und Veränderungen, die bei Rattenmenschen nicht üblich waren. Im Unterschied zu Colt wusste Mickey, was sie zu bedeuten hatten. »Er ist eine Schwarze Ratte 24 .«
»Offensichtlich«, spottete Spider.
»Nein«, murrte Mickey unwirsch. »Eine Schwarze Ratte. Eine Hausratte. Rattus rattus, kapierst du?«
»Oh«, gab Spider überrascht von sich. Es war seine erste Begegnung mit jemandem, dessen Körperratten keine Braunen Ratten 25 waren.
Mickey nutzte die ungewohnte Sprachlosigkeit des Albinos, um sich wieder Shaka zuzuwenden. »Du hast von mir geträumt?«
»Ja. Du hast meine Eltern getötet.« Plötzlich schwang ein harter Unterton in Shakas Stimme mit.
»Was habe ich?«, meinte Mickey verdutzt.
»Du hast meine Eltern getötet.«
Ein jüngerer Mickey hätte wahrscheinlich mit »Was für ein Quatsch!« reagiert, aber er hatte mittlerweile zu viel erlebt, um dieAussage des Jungen sofort in den Bereich der Fantasie abzuschieben. »Warum glaubst du das?«
»Ich habe es geträumt.«
»Und?«
»Meine Träume stimmen immer. Du hast meine Eltern getötet. Der Große da und der mit den weißen Haaren waren dabei. Und ein Langhaariger mit Nickelbrille.« Er sah dabei prüfend in Colts Gesicht, schüttelte dann jedoch kurz den Kopf.
Mickey schluckte. Er hatte einmal einen Langhaarigen mit Nickelbrille gekannt, Sheffield, der vor seinem Tod Mickeys rechte Hand im Rudel gewesen war. Plötzlich begann er, Shakas Träume in einem neuen Licht
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