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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Wort Schattenflügel fiel. »Die Libelle auf Ninas Gesicht«, murmelte der Arzt. »Weil der flirrende Schatten des Flügels auf mich gefallen ist …«, wiederholte er. »Schattenflügel. Ich nehme mal an, die Polizei hat sich ausgiebig mit diesem Gedicht beschäftigt, oder?«
    »Weil sie vermutet haben, dass darin ein Hinweis auf Ninas Mörder versteckt sein könnte, ja.« Kim dachte an den geheimnisvollen unbekannten Freund ihrer Schwester, von dem sie immer noch nicht wussten, ob er wirklich existierte.
    Zu ihrer Verblüffung stand Dr. Schinzel plötzlich auf und begann, im Zimmer umherzugehen. Das hatte er noch nie getan und mit einem Mal hatte Kim eine Gänsehaut.
    »Schattenflügel«, meinte er. »Ich erinnere mich, dass wir schon früher über dieses Gedicht von Nina gesprochen haben, aber hast du mir da auch den Titel genannt?« Er ließ ihr keine Zeit zu antworten, sondern sprach gleich weiter: »Wenn ja, dann habe ich damals nicht die richtigen Schlüsse gezogen.«
    Kim begriff nicht, was er damit sagen wollte.
    »Schattenflügel«, murmelte der Arzt ein weiteres Mal. »Das ist ein alter Ausdruck, wahrscheinlich kennt ihn deswegen bei der Polizei niemand.« Er blieb stehen und starrte aus dem Fenster auf den Park auf der anderen Straßenseite. Dann, nach einer ganzen Weile, die Kim endlos erschien, drehte er sich wieder zu ihr um. »Schattenflügel ist ein sehr alter, ländlicher Name für ein Insekt, Kim.«
    Sie wusste, was kommen würde, und sie schluckte schwer.
    »Für eine Libelle«, flüsterte sie.
    Nach dem Gespräch war Kim zu erschöpft, um noch einmal in die Schule zurückzugehen. Kurzerhand schlug sie einen anderen Weg ein und ging stattdessen nach Hause. Dort legte sie sich auf ihr Bett und starrte gegen die weiße Zimmerdecke.
    Irgendwann kam Sigurd. Den Geräuschen nach zu urteilen, war er einkaufen gewesen. Kim konnte hören, wie er mehrere Plastiktüten auf dem Küchentisch abstellte und dann unten vor die Treppe trat. »Kim?«, rief er zu ihr hinauf. Offenbar hatte er ihre Jacke an der Garderobe bemerkt. »Bist du zu Hause?«
    »Ja«, rief sie mit müder Stimme.
    Er kam die Treppe rauf und streckte den Kopf in ihr Zimmer. »Bist du krank?«
    »Nur ein bisschen angeschlagen nach dem Termin bei Schinzel«, murmelte Kim. Sie hatte keine Lust, ihm zu erklären, wie es ihr ging. Zu ihrer Erleichterung schien er das zu merken.
    Er musterte sie nur einen Moment aufmerksam, dann nickte er verständnisvoll. »Wenn du was brauchst: Ich bin in der Küche, okay?«
    Sie nickte und schloss die Augen.
    Sigurd nahm es als Aufforderung zu verschwinden. Sehr leise schloss er die Tür hinter sich, sodass die Geräusche, die er kurze Zeit später unten beim Auspacken der Einkaufstüten machte, nur noch gedämpft zu Kim heraufdrangen.
    Als es erneut an ihrer Zimmertür klopfte, schrak sie in die Höhe und war einen Moment lang völlig orientierungslos. Sie musste eingeschlafen sein. An dem Licht, das durch das Fenster ins Zimmer fiel, erkannte sie, dass es mittlerweile Nachmittag war.
    »Darf ich reinkommen?«, rief Sigurd durch die geschlossene Tür. »Da ist ein Anruf für dich!«
    Kim warf einen Blick zum Schreibtisch, wo ihr Handyladekabel über die Tischkante baumelte. Das Handy befand sich in ihrer Schultasche und der Akku war wahrscheinlich wieder mal leer.
    »Komm rein.« Ihre Stimme krächzte wie die einer alten Frau.
    Sigurd betrat das Zimmer. In der Hand hielt er den Hörer des Festnetztelefons. »Es ist Lukas«, sagte er. Kim konnte an seinem Gesichtsausdruck nicht ablesen, was er dabei dachte.
    »Danke.« Sie nahm den Hörer und räusperte sich. Lukas sollte nicht merken, dass sie geschlafen hatte.
    Sigurd zog sich zurück. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, hob Kim den Hörer ans Ohr. »Hallo«, murmelte sie. Ihr Herz klopfte.
    »Hallo«, sagte Lukas. »Geht es dir gut? Du warst heute nicht in der Schule.«
    Kim erzählte ihm von ihrem Besuch beim Psychiater.
    »Kann ich irgendwas für dich tun?«, fragte Lukas.
    Kim spürte, wie die Mattigkeit aus ihrem Körper verschwand. Er war wirklich unglaublich, dachte sie. Eigentlich viel zu perfekt, um wahr zu sein. »Nein«, hörte sie sich sagen. »Es ist alles okay, ehrlich. Morgen komme ich wieder, versprochen.« Die nagenden Zweifel, die schon wieder anfingen, in ihrem Kopf herumzuspuken, schob sie energisch zur Seite.
    »Bei Ernie? In der großen Pause?«
    Kim lächelte. »Die Schlafmütze vermisst uns bestimmt schon.«
    Sie hörte Lukas

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