Schattenfreundin
sie diese Rache ausführen soll. Und dann hat sie Frau Leifart getroffen, und das war der entscheidende Auslöser.« Charlotte machte hinter Begegnung mit Christa Leifart einen Pfeil, der auf die Vergangenheit weisen sollte. Darüber schrieb sie Trauma .
»Vielleicht eine Vergewaltigung?«, fragte Käfer.
»Du meinst, Thomas Ortrup hat sie irgendwann vergewaltigt?«
»Ich stelle das nur als Möglichkeit in den Raum.«
Charlotte dachte nach. »Ich habe schon während des Psychologiestudiums mit Frauen zusammengearbeitet, die als Kind oder als Jugendliche vergewaltigt worden waren und die dann erst als Erwachsene Rache nahmen. Diese Frauen standen aber in der Regel in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter.«
»Du meinst, sie sind zum Beispiel vom Vater oder Stiefvater missbraucht worden«, stellte er klar.
»Genau. Und sie sind meist über Jahre hinweg nicht in der Lage, sich gegen diese Männer zu wehren. Der lange Zeit angestaute Hass konnte sich dann in einer wie erlösend wirkenden Gewalttat entladen.«
»Passt irgendwie nicht. Es sei denn, Ortrup verschweigt uns was.« Er dachte nach. Eigentlich hatte Ortrup bei der ersten Befragung ganz normal auf ihn gewirkt, einfach wie ein sehr besorgter Vater. Allerdings war er ziemlich ins Stottern geraten, als es um seine Assistentin ging.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Thomas Ortrup eine Frau vergewaltigen würde«, sagte Charlotte schließlich.
Käfer zuckte mit den Achseln. »Ich kann mir vieles vorstellen. Außerdem würde dazu auch der Name Alekto passen. Ich habe im Internet recherchiert und etwas Interessantes herausgefunden. Alekto war eine der drei Erinnyen. Alekto, Megaira und Tisiphone. Die drei Rachegöttinnen aus der griechischen Mythologie.«
Charlotte sah ihn erstaunt an. »Alekto?«
»Die war für alle moralischen Vergehen zuständig. Und dazu würden natürlich auch Sexualdelikte passen.«
»Oder Seitensprünge«, sagte sie. »Was hast du noch rausbekommen?«
»Nicht viel. Es gibt diverse Firmeneinträge mit dem Namen. Die lassen wir alle überprüfen. Personen mit diesem Namen gibt es natürlich auch, durchweg Migranten. Die klappern wir auch nach und nach ab. Vielleicht gibt es ja irgendwo eine Auffälligkeit.«
»Gut. Zur Sicherheit sollten wir mit allen Frauen im Umfeld von Thomas Ortrup sprechen, ob es mögliche Übergriffe gegeben hat. Also mit seiner Frau, mit der Leifart, mit seiner Assistentin …«
»Das übernehme ich«, sagte Käfer.
»Mir fällt gerade was ein«, sagte Charlotte nachdenklich. »Du hast gesagt, Frau Leifart hat selbst einen Sohn … auch hellblond …«
»Stimmt. Sechs Jahre alt.«
»Und zu dem Zeitpunkt, als die Täterin Frau Leifart kennenlernte, war der Junge ungefähr in Leos Alter.«
»Was willst du damit sagen?«
»Was ist, wenn die Täterin im Auftrag von irgendjemand anderem gehandelt hat? Von jemandem, der gezielt einen kleinen blonden Jungen wie Leo wollte?«, fuhr Charlotte fort.
»Kinderhandel?«
Sie nickte, und Käfer verzog angewidert das Gesicht. Sie hatte recht. Zwar kam es selten vor, dass Frauen dabei aktiv wurden, aber so etwas gab es auch. Meist waren es Frauen, die selbst als Kind verschleppt und missbraucht worden waren. Für viel Geld vermittelten sie später Kinder in die Szene. Dabei hatten sie leichteres Spiel als Männer. Einer Frau traute man solche Taten einfach nicht zu. In seiner Anfangsphase in der Kripo hatte er Einblicke in einen solchen Fall bekommen. Eine junge Frau war als Zehnjährige aus Rumänien nach Deutschland verschleppt und auf den Babystrich geschickt worden. Mit einundzwanzig hatte sie dann selbst begonnen, Kinder aus ihrer alten Heimat nach Berlin zu schleusen. Schuldgefühle hatte sie dabei offensichtlich nicht gehabt, denn vor Gericht verstand sie nicht, was man ihr vorwarf. Sie beteuerte, sie sei immer nett gewesen zu den Kindern. Sie selbst sei früher immer wieder verprügelt worden, und dieses Schicksal habe sie den Kindern schließlich erspart. Die Frau hatte sich selbst als eine Art Ersatzmutter gesehen, die sich allein um das Wohlergehen ihrer Schützlinge gekümmert hatte. Die Kleinen bestätigten ihre Aussage. Die Frau war stets freundlich zu ihnen gewesen, hatte sie mit Süßigkeiten und Spielsachen versorgt. Und mit Freiern.
»Dazu würde auch die Selbsthilfegruppe passen«, fuhr Charlotte fort. »Es kommt häufig vor, dass solche Täter sich gezielt in Selbsthilfegruppen engagieren …«
»… um dort leichter ein Opfer zu finden«,
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