Schattenfreundin
möglichen Details an sich verändern, wenn sie will. Sie setzt sich eine Perücke und eine Brille auf, und schon wird keiner sie erkennen. Aber wenn die Ohrringe so markant sind, erinnert sich vielleicht jemand aus ihrem Umfeld daran. Wie sahen sie denn aus?«
»Sie waren aus ganz vielen leuchtend roten Strasssteinen gemacht und hatten die Form von Erdbeeren.«
Der Zeichner nickte und entwarf etwas am Computer. »So?«
»Oben noch ein bisschen grün … Ja, genau so.«
Es war das letzte Puzzleteilchen.
Entsetzt starrte Katrin auf den Bildschirm. Eine Frau lachte sie an, freundlich und herzlich, mit sympathischen Lachfältchen und ehrlichen Augen. Eine Frau, die einem auf Anhieb sympathisch war.
Tanja.
Ihr schlimmster Albtraum.
Käfer saß an seinem Schreibtisch, verzehrte genüsslich ein Puddingteilchen und schaute seiner Kollegin Charlotte dabei zu, wie sie das Fenster öffnete. Sie setzte sich auf die breite Fensterbank und warf einen Blick in den Hinterhof hinunter. Das Gebäude des Polizeipräsidiums war so hoch, dass der Hof zu jeder Jahreszeit im Schatten lag. Eine angenehme Kühle stieg nach oben, der Luftzug drang sogar bis an seinen Schreibtisch.
»Dreißig Grad heute, und das im Mai«, sagte Charlotte.
»Und die Klimaanlage ist mal wieder defekt«, erwiderte er mit vollem Mund.
»Hm, hm«, machte sie geistesabwesend. »Die Täterin hat auf Facebook ein Gruppenbild veröffentlicht, auf dem sie direkt neben Christa Leifart steht«, kam sie abrupt wieder auf ihren Fall zu sprechen. »Das heißt, sie hat den Account nicht eröffnet, um nur mit Katrin Ortrup in Kontakt zu treten, sie wollte vielmehr, dass Leos Mutter von der Leifart erfährt.«
»Aber warum?«, fragte er.
»Katrin Ortrup sollte erfahren, dass ihr Mann sie mit der Leifart betrogen hat.«
»Okay. Sie entführt den Jungen, sie zerrt den Seitensprung des Ehemanns ans Licht … Was will sie? Die Familie kaputt machen?« Käfer trank einen Schluck Kaffee. »Warum das alles?«
»Richtet sich ihre Aggression gegen Katrin Ortrup oder gegen Thomas Ortrup?«
»Oder gegen beide?«
»Hm.«
»Was wissen wir bisher über die Umstände, unter denen das Gruppenfoto entstanden sein könnte?«, fragte ihn Charlotte.
Frau Leifart hatte ihm gesagt, dass das Foto vor drei Jahren im Schwarzwald gemacht worden war. Bei einem Treffen aller deutschen Selbsthilfegruppen für Diabetes mellitus. Rund fünfhundert Personen hatten daran teilgenommen. Leider existierten keine schriftlichen Voranmeldungen. Nur für die Vorträge und die Abendessen musste man sich vorher anmelden, die Informationsstände konnte jeder Interessierte besuchen. Und dort war das Foto entstanden. Frau Leifart, die seit ihrer Kindheit unter Diabetes litt, konnte sich an die Täterin erinnern, nachdem er ihr einen Screenshot von dem Foto gezeigt hatte.
»Der Name sagt mir nichts, aber die Ohrringe … Doch, doch, mit der habe ich mich unterhalten«, hatte sie ihm gesagt. »Nicht nur über die Krankheit, sondern auch über das Leben im Allgemeinen, über Kinder und Familie. Das fand ich sehr angenehm. Ich weiß noch, wie sie andeutete, dass bei ihr im Leben eine Menge schiefgelaufen sei, obwohl sie sich immer bemüht hätte, alles richtig zu machen. Ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund, aber irgendwie haben wir in dem Zusammenhang auch über die Ehe gesprochen und über Untreue und Fremdgehen.«
»Haben Sie der Frau damals gesagt, dass Sie eine Affäre mit Thomas Ortrup hatten?«, hatte er gefragt.
Christa Leifart hatte nur mit den Schultern gezuckt. Sie wusste es nicht mehr, konnte es aber auch nicht ausschließen.
»Wir haben über so viele Dinge geredet«, hatte sie gesagt. »Ich habe während des Treffens noch mit so vielen anderen Leuten gesprochen. Wissen Sie, in Selbsthilfegruppen ist man schnell vertraut miteinander. Das gemeinsame Schicksal verbindet nun mal. Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht mehr sagen, worum es im Detail ging.«
»Können Sie sich noch an den Namen der Frau erinnern?«, hatte er hoffnungsvoll nachgehakt, aber Frau Leifart hatte nur den Kopf geschüttelt.
Er steckte sich den Rest seines Puddingteilchens in den Mund. »Die Täterin war nicht in derselben Selbsthilfegruppe wie Frau Leifart«, murmelte er.
»Es hilft nichts, wir müssen alle Selbsthilfegruppen abklappern, die damals vertreten waren. Vielleicht erkennt einer der Teilnehmer die Täterin wieder.«
Er nickte seufzend. »Ich habe schon zwei Kollegen dazu verdonnert, alle deutschen
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