Schattenfreundin
Studiums …«, sagte er stockend. »… wir haben viel getrunken und natürlich auch geflirtet. Ganz ehrlich, ich weiß nicht mehr, ob da mal was war zwischen Beerchen und mir … ich glaube nicht. Ich kannte Katrin da doch schon. Aber Streit hatten wir nicht, auf keinen Fall. Im Gegenteil.«
»Was heißt im Gegenteil?«
»Na, wir haben uns einfach gut verstanden – ohne dass da groß was gelaufen wäre. Beerchen war doch noch recht neu in der Stadt, da haben wir ihr jede Mange Tipps gegeben. Billige Restaurants, gute Ärzte, die besten Plattenläden, so was halt. Aber mehr war da nicht.«
Charlotte schaute ihn an. »Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt zu der Frau, rufen Sie mich bitte an, ja?«
Thomas Ortrup nickte matt und schlug die Tür zu.
Nachdenklich ging Charlotte zu ihrem Wagen zurück. Thomas Ortrup hatte getrunken, so viel stand fest. Am helllichten Tag. Und wenn er ein Alkoholproblem hatte? Dann konnte das eine Erklärung für mögliche Gewaltausbrüche sein. Bei Carmen Gerber kam es offensichtlich zu Handgreiflichkeiten – vielleicht auch bei Annabell? Er hatte selbst gesagt, dass er früher viel mit ihr gefeiert hatte. Ein Übergriff im Vollrausch, vielleicht eine Vergewaltigung, an die er sich nicht mehr erinnern konnte?
Charlotte setzte sich in ihr Auto und fuhr langsam aus Ortrups Einfahrt. Am Küchenfenster sah sie ihn stehen. Entkorkte er gerade eine Flasche Wein? Es sah fast so aus. Charlotte schüttelte den Kopf. Der Mann war in einer Extremsituation. Viele Menschen versuchten, ihren Kummer mit Alkohol zu betäuben. Das wusste sie schließlich selbst. Deshalb musste Ortrup noch lange kein Verbrecher sein.
Dennoch war es merkwürdig, dass ausgerechnet er Annabell von früher kannte, dachte Charlotte, als sie von der Straße auf die Allee bog, die in die Innenstadt führte.
»Kindchen, wie schön, dass du mich besuchst«, sagte Margarethe Brenner. »Komm rein.«
Katrin kannte die ehemalige Sprechstundenhilfe ihres Vaters seit ihrer frühen Kindheit. Margarethe Brenner war immer mehr gewesen als nur eine Angestellte. Sie war die gute Seele der Praxis gewesen, die alle Fäden in der Hand hielt. Für die Angestellten und auch für die Patientinnen hatte sie immer ein offenes Ohr gehabt. Egal, wer eine Schulter zum Ausweinen brauchte, bei Margarethe Brenner fand er Verständnis und Unterstützung.
Katrin hatte sich nie erklären können, warum sie unverheiratet geblieben war und keine Familie gegründet hatte. In ihren Augen wäre sie die perfekte Mutter gewesen.
Margarethe umarmte Katrin. »Die Beerdigung von deinem Papa war wirklich ergreifend«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Ich habe gehört, was danach passiert ist. Entsetzlich. Gibt es schon was Neues?«
Katrin schüttelte nur den Kopf.
Margarethe legte tröstend den Arm um sie und führte sie ins Wohnzimmer, das noch genauso aussah, wie Katrin es in Erinnerung hatte: penibel aufgeräumt und vollgestopft mit bunt schillerndem Nippes. In einem Regal standen Dutzende von Störchen, aus Porzellan, aus Glas oder aus Plastik. Ausgerechnet Störche, dachte Katrin. Wie passend für eine Frau, die ihr halbes Leben in einer Frauenarztpraxis verbracht hat.
»Ich habe Blaubeerkuchen gebacken«, sagte Margarethe. »Möchtest du ein Stück?«
»Sehr gerne.«
»Der Kaffee ist auch schon fertig.« Sie deckte den Tisch mit altmodisch aussehenden Sammeltassen, dann ging sie in die Küche, um den Kaffee zu holen. Während Katrin hinter ihr hersah, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Ob Margarethe womöglich eine Affäre mit ihrem Vater gehabt hatte? Sie war ein ganz anderer Typ als ihre Mutter, nicht so elegant und gebildet, dafür aber warmherzig und lustig. Und attraktiv: klein und schlank, mit schmalen Hüften und großem Busen. Ihre Mutter hatte ihren Körper immer verdeckt, als wäre es eine Sünde, ihn zu zeigen. Vielleicht hatte ihr Vater gerade diesen Kontrast gesucht?
Margarethe kam mit dem Kaffee zurück. Sie goss ein und verteilte den Kuchen. Dann setzte sie sich.
»Köstlich«, sagte Katrin, nachdem sie probiert hatte.
»Danke!«
»Wie hast du den Teig gemacht?«
Margarethe sah Katrin fragend an. »Du bist doch bestimmt nicht gekommen, um mit mir Kuchenrezepte auszutauschen, oder?«, sagte sie und lächelte. »In deiner Situation dürftest du andere Dinge im Kopf haben. Was kann ich für dich tun, mein Kind?«
Katrin war froh, dass sie nicht lange um den heißen Brei herumreden musste. In knappen Worten erzählte sie
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