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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Drews
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den Berg aus Kartoffelschalen und verdrehte die Augen, aber sie sparte sich einen Kommentar. Die Menge an Kartoffeln würde für mindestens zehn Portionen Kartoffelkuchen reichen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob das Allheilmittel Essen eine Erfindung ihrer Mutter war oder aller Mütter ihrer Generation. Den Satz Du musst doch was essen hatte Katrin früher jeden Tag gehört, zuerst als Teenager und dann, als sie das erste Mal schwanger gewesen war. Und obwohl ihr Vater als Gynäkologe es eigentlich hätte besser wissen müssen, wurde sie andauernd ermahnt, bloß ordentlich zu essen. Und nachdem Leo geboren war, wurde es immer schlimmer. Wenn ihre Mutter ihren Enkel besuchte, hatte sie schon zur Begrüßung einen Keks in der Hand, weil es ja so niedlich war, den Kleinen futtern zu sehen, wie sie immer betonte. Katrins Wunsch, Leo keine Süßigkeiten zu geben, wurde einfach ignoriert. Schokolade, Gummibärchen, Kuchen … Leo bekam alles, was er wollte. Oft genug verdarb er sich dadurch den Magen, aber das zählte ja nicht.
    Ihre Mutter selbst war dagegen nie eine große Esserin gewesen. Sie hatte immer viel Wert gelegt auf eine gute Figur. Nur ja nicht dick werden, die Leute könnten ja reden …
    Katrin setzte sich zu ihr. »Wo hat Papa eigentlich seine alten Praxisunterlagen? Sind die irgendwo eingeschlossen?«, fragte sie.
    »Nein«, antwortete ihre Mutter, während sie weiterschälte. »Er wollte sich immer einen Tresor anschaffen, aber irgendwie ist es nicht dazu gekommen. Sie liegen auf dem Dachboden.« Sie sah auf. »Warum? Was willst du damit?«
    »Vielleicht war Tanja eine Patientin von Papa«, sagte Katrin. »Vielleicht eine von den Prostituierten, um die er sich gekümmert hat.«
    Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Woher weißt du das? Wer hat dir denn die alten Kamellen erzählt?«
    »Margarethe.«
    Ihre Mutter schälte weiter. »Das hätte ich mir denken können. Die war ja schon immer sehr geschwätzig.«
    Katrin ging nicht ein auf den abwertenden Ton, mit dem ihre Mutter über Margarethe Brenner sprach. »Warum habt ihr mir das eigentlich nie erzählt?«
    Ihre Mutter seufzte. »Kind, das liegt so lange zurück! Du warst damals noch ein junges Mädchen! Wie sollte ich dir denn erklären, was das für Frauen sind, die sich für Geld mit Männern einlassen und die Drogen nehmen?«
    »Na ja, ich glaube, mit ein bisschen gutem Willen hätte man schon die richtigen Worte finden können.«
    »Aber wozu?« Ihre Mutter legte die Kartoffel und das Schälmesser auf den Tisch. »Dein Vater hat das nur ein paar Jahre lang gemacht«, sagte sie. »Das war damals eine besondere Situation, diese Frauen hatten ihren Bezirk rund um den Hauptbahnhof, also ganz in der Nähe der Praxis. Da hat dein Vater ihnen manchmal geholfen. Wie es genau angefangen hat, weiß ich auch nicht. Ich muss gestehen, mir hat das nicht gefallen. Ich finde, diese Frauen … Nun ja, das ist lange vorbei. Du warst damals vielleicht zehn, elf Jahre alt, das war wirklich kein passendes Gesprächsthema für dich.« Sie schälte weiter.
    Zehn oder elf Jahre war sie damals also gewesen. Wenn Tanja ungefähr im gleichen Alter war wie sie, dann hatte sie damals wohl kaum als Prostituierte gearbeitet. »Vielleicht war Tanja trotzdem mal bei Papa.«
    Ihre Mutter zuckte mit den Achseln. »Vielleicht.«
    Katrin stand auf. »Ich kann nicht einfach so rumsitzen. Ich muss irgendwas tun, sonst werd ich noch verrückt. Verstehst du das?«
    Ihre Mutter zeigte auf die Kartoffelschalen. »Ich auch.«
    Katrin nickte und legte ihrer Mutter eine Hand auf die Schulter, dann ging sie hinaus. Ja, irgendetwas zu tun war besser, als auf dem Sofa zu sitzen und zu grübeln, gefangen zwischen Angst und Hoffnung.
    »In einer Stunde ist das Essen fertig«, sagte ihre Mutter hinter ihr her.
    Katrin atmete tief durch. Sie hatte keinen Appetit. Egal … Sie ging nach oben und suchte nach dem Stock, mit dem sich die Dachbodenluke öffnen ließ. Sie fand ihn hinter einem Vorhang, wo ihre Mutter in einer Nische Schuhkartons gestapelt hatte. Katrin entriegelte die Luke und zog sie nach unten. Eine Staubwolke rieselte auf sie herunter. Sie kniff die Augen zu und wedelte mit der Hand vorm Gesicht. Als sie die Augen wieder öffnete, entdeckte sie an den Holzstufen, die an der Innenseite der Luke befestigt waren, ein dichtes Netz von silbrig grau schimmernden Spinnweben.
    Sie kletterte die Leiter hoch und schaltete das Licht ein. Mit eingezogenem Kopf sah sie sich suchend um. Im

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