Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
zwar tot war, aber ihr aufgetragen hatte, über seinen Sohn zu wachen, und Fejelis, dessen Standfestigkeit inmitten von Chaos und Katastrophe ihr Respekt abgenötigt hatte.
Würde es einem ihrer Prinzen helfen, wenn sie einen Schattengeborenen in den Palast brachte?
Es würde ihre und Fejelis’ Unschuld beweisen. Und es wäre ein Fluch für ihre Feinde.
Ihre Stimme schnarrte. »Steh auf!«
Er gehorchte, erhob sich unbeholfen und hielt das Handgelenk dicht an seinen Körper gepresst. Sie ignorierte es, da Verletzungen vorgetäuscht werden konnten, um einen Gegner in falscher Sicherheit zu wiegen. Aber seine Kleidung irritierte sie. Magier konnten Kleidung verzaubern, damit sie undurchsichtig wirkte, aber der Stoff bewahrte dabei normalerweise die Beschaffenheit des durchsichtigen Tuchs, das die meisten trugen.
Weder hatte er Lichter bei sich noch bat er, das zu Boden gefallene aufheben zu dürfen.
»Dreh dich um«, sagte sie, um ihn auf die Probe zu stellen. »Geh. Mit dem Rücken zu mir. Wenn du dich umdrehst, werde ich schießen.«
Ohne zu zögern, wandte er sich der Dunkelheit zu und ging Richtung Palast. »Floria«, hob er zu sprechen an, »es tut mir so furchtbar leid, was mit Isidore und dem Turm passiert ist. Wenn wir schneller begriffen hätten, womit wir es zu tun hatten … «
»Sei still!«, befahl sie. Nach allem, was sie wusste, konnte er eine Verhexung in die Worte gewoben haben.
Er ging einen halben Häuserblock lang schweigend vor ihr her, dann sprach er erneut. »Telmaine ist tot. Einem Teil von mir ist es schlichtweg gleichgültig, ob du mich tatsächlich erschießt. Nur wäre es mir lieber, wenn nicht du es wärst. Und ich habe mich dafür verbürgt, alles dafür zu tun, um ihre Prächtigkeiten davon zu überzeugen, dass eine andere Macht daran gearbeitet hat, den Frieden zwischen uns zu zerstören.«
»Deine Herzöge haben dabei mehr als nur eine kleine Rolle gespielt.«
»Ja«, erwiderte er. »Herzog Mycene ist tot – er hat sich mit einem Schattengeborenen angelegt. Um Herzog Kalamay wird sich der Erzherzog kümmern, sobald er kann, denke ich, aber seine Macht wurde kompromittiert. Telmaine – ich weiß nicht, wie viel du gehört hast, oder wie viel man dir erzählt hat, aber meine Frau war eine Magierin.«
»Eine Magierin?« Die voreingenommene, gesittete, eifersüchtige Telmaine … Sie rief sich mit aller Macht ins Gedächtnis, dass dies nicht Balthasar sein konnte, aber warum sollte ein Betrüger denken, Telmaine könnte ihr irgendetwas bedeuten? Ausgerechnet Telmaine, mit der sie nicht mehr als ein paar Worte in ihrem Leben gewechselt hatte?
Und Telmaine konnte nicht tot sein, was immer er sagte, denn sie hatte Floria aus ihrem Gefängnis befreit, bevor ihre Lichter erloschen waren.
Er sprach wieder in die Nacht hinein, mit der trostlosesten Stimme, die sie je gehört hatte. »Sie hatte keine Ausbildung und hat sich gegen einen Schattengeborenen gestellt – gegen ihn gekämpft. Ich weiß nicht, was er mit ihr gemacht hat, aber irgendetwas ist mit ihrer Magie passiert. Ich kann nicht glauben, dass sie dem Erzherzog willentlich Schaden zugefügt und ihn fast getötet hätte.« Ohne Vorwarnung blieb er stehen, sodass sie ihm beinahe ihren Revolver in den Rücken gerammt hätte. »Geh weiter!«, befahl sie.
»Sie hat den Erzherzog geheilt, aber sie wurde verhaftet. Verhaftet und in einen Raum gesetzt, der dem Licht geöffnet wurde – sie haben meine geliebte Frau wegen Hexerei hingerichtet, und ich war nicht da, um sie zu beschützen«, beendete er seinen Bericht in einem Schmerz erstickten Aufkeuchen.
Sie erinnerte sich daran, dass Telmaine – oder die Stimme, die wie Telmaine klang – gesagt hatte: »Erzählen Sie Balthasar, dass wir geredet haben. Es ist sehr wichtig.«
Wenn dies tatsächlich ein Schattengeborener war, dachte er vielleicht, er könnte sie mit Balthasars Trauer entwaffnen, ohne zu wissen, dass sie um seine Lüge wusste. Oder er glaubte, sie würde Informationen preisgeben, falls Telmaine entgegen aller Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine Magierin war. »Geh weiter!«, wiederholte sie.
Er schwieg, bis sie die Palastmauern erreichten und durch die Gärten schritten. Dann sah sie, wie er vor ihr ins Stocken geriet, und hörte ihn schwach hauchen: »Grundgütige Imogene. Ich hätte mir nie träumen lassen … « Ihr fehlte die Zeit, ihn auf die Rückseite des Palastes zu führen und in die Nähe der schrecklichen Turmruine zu bringen, was nur gut war.
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