Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Südländer vielleicht ein unwillkommenes Interesse an ihrer Person fassen könnten. Ich würde es vorziehen, nicht zu verraten, von wem ich spreche.« Vor allem nicht in Gegenwart einer Magierin. »Ich werde Ihnen aber verraten – hören Sie mir gut zu, Tempe – , dass diese Person nicht die geringste Gefahr für ihre Prächtigkeiten, die Leibgarde oder den Tempel darstellt.«
»Das war die Wahrheit«, sagte Tempe ein wenig widerstrebend. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Balthasar. »Wer sind Sie?«
Floria hatte vergeblich gehofft, dass sie nicht ausgerechnet mit dieser Frage beginnen würde.
»Mein Name«, erklärte ihr Gefangener, »ist Balthasar Hearne.«
Sowohl Lapaxo als auch Tempe sahen Floria an, sie kannten den Namen. Die Magierin nicht. Sie hatte sich nicht bewegt und nicht im Geringsten angedeutet, zur Tat schreiten zu wollen. Sie war so mit ihrem Zorn beschäftigt, dass sie ohne einen direkten Befehl nichts unternehmen würde.
»Und ja, ich bin nachtgeboren.«
Die Magierin verzog ihren Mund. »Wollen Sie, dass ich ihn untersuche?«
Schweigen trat ein. Tempe sagte so unsicher, wie Floria es noch nie von ihr gehört hatte: »Er sagt die Wahrheit, zumindest glaubt er, was er sagt. Lapaxo … «
Lapaxo erwiderte den zornigen Blick der Magierin mit dem eines Hauptmanns der Leibgarde. Schließlich senkte sie die Augen. »Bitte, Magistra.«
Sie riss sich ihren roten Handschuh herunter und steckte ihn in ihren Gürtel. »Schön«, sagte sie. »Halten Sie ihn fest.«
»Das ist nicht nötig«, wandte ihr Gefangener ein.
»Ich werde entscheiden, was nötig ist«, versetzte die Magierin knapp. »Halten Sie ihn fest.«
Floria nahm einen Arm, Lapaxo den anderen. An Balthasar gewandt fügte die Magierin hinzu: »Ich werde Ihr Gesicht berühren.«
»Ich weiß«, sagte er. »Meine Schwester ist eine Magierin dritten Ranges.«
Die Berührung kam beinahe einer Ohrfeige gleich, aber sie wurde schnell sanfter, als die Magierin sich zusammenriss und ihre Hand an seine Wange schmiegte. Floria beobachtete ihr Gesicht, während sie seine Gedanken durchdrang, und sah, wie ihre Miene von Wut zu Verwirrung und dann übergangslos zu tiefem Mitleid wechselte. Floria konnte sein Gesicht nicht sehen, obwohl er unter ihrem festen Griff ein wenig zitterte.
Die Magierin ließ die Hand sinken und trat zurück. »Er braucht einen Heiler, nicht mich«, erklärte sie und betrachtete ihren Gefangenen mit unverhohlenem Mitleid und Entsetzen. »Er ist völlig wahnsinnig und überzeugt, ein Nachtgeborener zu sein. Er glaubt, diese Schattengeborenen hätten ihn gefangen gehalten, ihn verhext und es ihm ermöglicht, im Tageslicht zu wandeln. Er glaubt, es sei seine Mission zu beweisen, dass die Schattengeborenen existieren und für alles, was geschehen ist, verantwortlich sind. Er glaubt, er sei blind, und ist sogar fest davon überzeugt, dass ich nicht einmal durch seine Augen sehen kann, obwohl er sich so verhält, als sei er in der Lage zu sehen. Irgendetwas Schreckliches muss ihm zugestoßen sein. Wenn Sie Erkundigungen bei den Menschen einholen würden, die in der Nähe des Turms gelebt haben, ist es gut möglich, dass Sie jemanden finden, der ihn kennt.«
Ihr Gefangener gab einen Laut von sich, der ein Anflug eines Lachens oder eines Schluchzens sein konnte.
Tempe fragte: »Hat er vor, irgendjemandem Schaden zuzufügen?«
»Nein«, antwortete sie überzeugt. »Er will uns retten – Nachtgeborene wie Lichtgeborene, und sogar die Schattengeborenen. Er nimmt leidenschaftlich Anteil. Und er trauert.« An ihren Gefangenen gewandt sagte sie betreten: »Es tut mir so leid.«
Floria fragte: »Spüren Sie irgendeine Verhexung an ihm?«
»Nein!« Die Magierin war entrüstet über diese Frage und wertete sie als Vorwurf.
Als Magierin aus einer reinen Blutlinie würde sie seine Verhexung nicht spüren können.
»Danke, Magistra«, meldete Lapaxo sich zu Wort. »Das beantwortet einige meiner Fragen.«
Sie neigte den Kopf, wandte sich um und verließ den Raum beinahe im Laufschritt, auf der Flucht vor einem Mann, den eine Tragödie in den Wahnsinn getrieben hatte.
Ihr Gefangener klang erschüttert. »Sie irrt sich. Ich bin nicht verrückt.«
Lapaxo sagte müde: »Wir werden ihn unter Bewachung hier behalten. Morgen suchen wir seine Familie.« Falls sie überlebt hatte. Selbst wenn, wie wahrscheinlich war es, dass sie in der Lage war, einen Heiler zu bezahlen, um einen derart gebrochenen Geist wiederherzustellen?
Doch diese
Weitere Kostenlose Bücher