Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
für einen Moment trüb geworden sein. »Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?«, murmelte der Hauptmann.
»Es ist noch nicht lange her.« Er hatte vor dem Gespräch mit Vladimer Hafermehlkuchen und Käse zu sich genommen, obwohl es ihm schwerfiel, sich zu erinnern, wann er zuletzt eine volle Mahlzeit verzehrt hatte. »Das muss warten«, sagte er, als sich plötzlich die Tür der Minderprivilegierten öffnete, und eine geschlossene Front von Leibgardisten der Richterschaft erschien, die eine vertraute blonde Frau in roter Kleidung und einen schwarzhaarigen Fremden umgaben, dessen Augen hinter getönten Brillengläsern verborgen lagen.
»Das ist der Nachtgeborene«, bemerkte Lapaxo leise. »Sein Name ist Hearne.«
»Florias Freund?«, fragte Fejelis, der sich endlich daran erinnerte, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. Er versuchte, Hearne nicht anzustarren, aber die bloße Durchschnittlichkeit des Nachtgeborenen machte es ihm schwer. Diese schlanke Gestalt und das schmale, eindringliche Gesicht hätten bis auf die dunkle Brille und die schwere, unansehnliche Kleidung einem der Archivare oder Bibliothekare des Palastes gehören können. Der Nachtgeborene schien ein wenig zu schwitzen, was Fejelis für Nervosität gehalten hätte, wenn sein Auftreten nicht eher auf Entschlossenheit hingedeutet hätte. Diese dicke Kleidung musste warm sein – natürlich, die Nachtgeborenen waren an die Kälte der Nacht gewöhnt. Als sie näher traten, bemerkte er Florias gleitenden Schritt und ihre rastlosen Augen: Das war Floria in ihrer gefährlichsten Verfassung. Aber als ihr Blick auf ihn fiel, und sich die Wahrheit des Gerüchtes bestätigte, wurden ihre Augen schmal von einem Lächeln und glitzerten befriedigt.
Neben ihm starrte Jovance den Nachtgeborenen mit leichtem Blinzeln an. Er konnte sehen, wie sich ihre Hand bewegte. Lapaxo hatte gesagt, die Verhexung Hearnes sei schattengeborener Natur, aber sie war eine Magierin aus den Blutlinien … »Magistra?«, fragte er sie leise.
Jovance entsann sich und hielt den Mund dicht an Fejelis’ Ohr. »Er trägt die Berührung des Erzmagiers. Was für eine höllische Verhexung. Genau das haben sie Tam auch angetan.« Sie klang wütend. Er selbst war es. Aber er sagte mit leiser Stimme: »Er kann nichts dafür.«
»Wenn dieser Mann nicht gekommen wäre … « Die Gruppe befand sich fast in Hörweite, und sie verkniff sich den Rest. Er wartete, aber sie beendete ihren Satz nicht, auch nicht in seinem Geist.
Lapaxo murmelte etwas auf seiner anderen Seite, und Fejelis neigte sich zu ihm herab. »Ich habe vergessen, Ihnen zu berichten«, sagte der Hauptmann und klang, als ärgere er sich über sich selbst, »dass der Tempel ihn als einen der ihren beansprucht. Sie behaupten, er sei magiegeboren.«
Sie behaupten es, dachte Fejelis. Normalerweise brauchen Magier keinen Tempel, der ihnen sagt, dass sie magiegeboren sind. Er tauschte einen Blick mit Jovance, sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Was führen sie also im Schilde?
Er bedeutete den Neuankömmlingen, einen Moment zu warten, winkte den Garderobier mit der abgebürsteten Trauerjacke heran, schob seine Arme in die Ärmel, dann wurde die Jacke forsch glatt gestrichen und an ihr gezupft. Zum Dank nickte er und drehte sich dann mit einem tiefen Atemzug um. Beim Eintreten der Gruppe hatten sich die Dienstboten aus der Halle zurückgezogen. Nun befanden sich nur noch wenige von ihnen in dem Saal, den sie wie Fejelis selbst hastig hergerichtet und arrangiert hatten.
Er kannte den Titel des Nachtgeborenen nicht und wusste nur, dass er Arzt war und – nein, er war der Ehefrau des Mannes bereits begegnet, er besaß keinen Titel. »Dr. Hearne, ich bin Fejelis Grauer Strom, der amtierende Prinz. Wie ich hörte, hat man Ihnen bereits das traditionelle höfische Willkommen bereitet.«
»Ah, so nennt man das also?« Hearnes Stimme war ein ruhiger Tenor.
Das ließ auf Gutes schließen. Da Hearne zu den Nachtgeborenen gehörte, und Fejelis wusste, für wie wichtig sie solche Höflichkeiten erachteten, sagte er: »Ich habe erst kürzlich, tatsächlich erst vor wenigen Stunden, mit Ihrer Gemahlin gesprochen.«
Er hätte nicht gedacht, dass ein so blasser Mann noch bleicher werden konnte. Floria schloss sofort die Lücke zwischen ihnen, aber der Nachtgeborene bewahrte seine Fassung und antwortete: »Nein, ich bin vollkommen … Entschuldigen Sie, Prinz Fejelis, aber als ich hierherkam, dachte ich, meine Frau sei tot. Floria
Weitere Kostenlose Bücher