Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
richtig hältst, und nicht, wie irgendjemand anderer es dir sagt. Vater vertrat die Meinung, dass die Politik eines Prinzen nicht den Prinzen selbst überleben sollte, und ich gebe ihm recht. Aber versuche, ein guter Prinz zu sein, und sei auf der Hut. Ich werde mein Bestes geben, damit ich dich nicht in einem derart schrecklichen Schlamassel sitzen lasse, wie wir ihn jetzt haben. Sollte ich allerdings scheitern, brauchen wir eine möglichst solide Beziehung zu den Nachtgeborenen.« Er fing sich und schüttelte den Kopf. »Und ich habe noch gesagt, ich will nicht versuchen, dich zu beeinflussen.«
»Das ist keine Beeinflussung«, unterbrach ihn Jovance von der Tür her. »Es ist, als würden Sie in Worten ausdrücken, dass Sie vor lauter Sorge Papier in Fetzen reißen könnten. Sie sagen ihm nichts, was er nicht bereits weiß. Auch er ist der Sohn Ihres Vaters.«
Er bedachte sie mit einem dankbaren Blick, dann schloss er Orlanjis kurz in die Arme. Er war froh, dass niemand vorgeschlagen hatte, Orlanjis solle mitreisen, als der nachtgeborene Zug mit Fürst Vladimer und seinen Magiern aufgebrochen war. Aber die Eisenbahner der Lichtgeborenen hatten vor, einen Tageszug einzusetzen, der vor Sonnenuntergang nach Stranhorne abfahren sollte. Sollte Fejelis es nicht schaffen, die Angelegenheit in der Stadt heute zu Ende zu bringen, würde Orlanjis mit ihnen fahren. »Ich werde Mutter von dir grüßen, aber ich würde es zu schätzen wissen, wenn du ihr eine Nachricht schickst, in der du ihr versicherst, dass ich dich nicht allein in der Wildnis zurückgelassen habe.«
Orlanjis stand in der Tür und sah ihnen nach, als Fejelis und Jovance die Treppe des kleinen Hauses hinuntergingen und in den sorgfältig gepflegten Garten traten. Der Duft der nachtblühenden Blumen an den Spalieren hing in der reglosen Morgenluft, obwohl die Blumen selbst die Blätter eingefaltet hatten. Eine verwirrte Biene stieß sanft gegen eine Blüte, als wolle sie diese wecken. Die Welt wirkte durch die Stille, den frühen Sonnenschein und weil sie sich als Einzige darin bewegten wie neu geschaffen, ohne Fluch und frei von Schattengeborenen.
»Sie haben schöne aufmunternde Worte gefunden«, bemerkte Jovance mit leiser Stimme.
»Ich habe Angst um ihn«, gestand Fejelis. »Er ist doch erst vierzehn.«
»Eines finde ich beruhigend«, sagte Jovance. »Ich sehe keinerlei Anzeichen, dass er Dummheiten begehen würde, nur um seinen Mut unter Beweis zu stellen.« Sie blickte zu ihm auf, und ihre Haut war warm vom Sonnenlicht. »Bei Ihnen ist es genauso. Ich glaube, es kommt Ihnen nicht einmal in den Sinn , Angst zu haben.« Hätte sie seinen Puls spüren oder ihn berühren können, wäre ihr bewusst geworden, dass sie sich irrte. »Wohin soll ich uns bringen? Es muss ein Ort sein, den ich kenne, und er sollte am besten irgendwo im Freien liegen. Ich kann Lebewesen leichter spüren und meiden als unbelebte Gegenstände.«
»Was halten Sie von den Palastgärten? Auf die Plattform des Sonnenuhrgartens?«
Dort stand bei gewissen zeremoniellen Anlässen der Prinz, und sein Schatten markierte eine bedeutungsvolle Zeit. Sie starrte ihn mit leicht geöffneten Lippen an. Dann fiel ihm ein, dass einer dieser Anlässe die öffentliche Bekanntgabe des Vertrags zwischen dem Prinzen und seiner erwählten Gefährtin sowie dessen Besiegelung war. Er errötete. »Jovance, ich, äh … «
Sie lachte noch immer, als sie Fejelis und sich auf der Plattform über dem Sonnenuhrgarten absetzte. Es war eine äußerst unzeremonielle Stunde, und ihre Schatten lagen außerhalb der blauen und silbernen Begrenzung, die die Zeit markierten. Sie keuchte, als die magische Anstrengung sie einholte. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie zum Rand der Plattform, damit sie sich setzen konnte. Alle Gedanken an seinen Fehltritt entschlüpften ihm. »Entschuldigung«, sagte sie bleich. »Ich musste die Abwehr des Tempels ziemlich stark durchbrechen, um hierherzugelangen. Man kann mit Sicherheit sagen, sie wissen jetzt, dass ich hier bin.«
»Falls nicht, sagen Sie es ihnen«, erwiderte Fejelis. »Ich möchte ihre Aufmerksamkeit.« Er stieg von der Plattform auf den Boden herab. »Können Sie laufen? Es gefällt mir nicht, wie ungeschützt wir hier sind.« Er hatte in seiner jungen Regentschaft bereits einen Armbrustbolzen im Leib gehabt und wollte keinen weiteren herausfordern.
»Ich würde gern verneinen«, bemerkte sie und blickte unter ihren Wimpern zu ihm empor,
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