Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
anspannten. Als stumme Entschuldigung streckte er ihr seine Hand hin. Nun spannte sich Jovance ihrerseits an, bis sie begriff – wie er es zuvor gesehen hatte – , dass Perrin Handschuhe trug, und es ungefährlich war, sie zu berühren.
»Fejelis, es tut mir so leid«, sprudelten die Worte undeutlich aus ihr heraus. »Alles ging so schnell, und kaum warst du fort, wurde mir klar, dass du recht hattest, und der Tempel die Augen vor der Wahrheit verschloss.« Er drückte ihre Hand, um sie zu beruhigen. Jetzt musste er noch den Preis in Erfahrung bringen, den der Tempel verlangte, damit sie ihm seinen Titel zurückgaben.
»Wo ist Orlanjis?«, rief Sharel, die neben Helenja stand und zweifellos deren Zustimmung hatte. Seine Mutter wirkte ihrer Natur getreu genauso angewidert über Perrins bereitwillige Aufgabe des Throns wie über ihre Übernahme.
»Er ist in den Grenzlanden und hilft den Nachtgeborenen dabei, sich zu verteidigen«, sagte Fejelis, »und dank deiner Unterweisung macht er seine Sache gut.« Sie wollte noch etwas anderes rufen, aber er war darauf vorbereitet. Er mochte nicht Lapaxos langjährige Erfahrung haben, aber er besaß gesunde Lungen und eine Stimme, die ihre Jugendlichkeit längst verloren hatte. Und ob es ihm gefiel oder nicht, in seinen Adern floss das Blut von Generationen südländischer Klanoberhäupter.
»Schluss jetzt!«
Es gab zwar keine bebenden Gläser, aber ein erfreuliches Schweigen. »Mit dieser für alle mörderischen inneren Kriegsführung ist jetzt Schluss «, erklärte er nun etwas leiser, aber nicht weniger nachdrücklich. »Ich vergebe meiner Schwester für ihr Vergehen gegen mich. Ich habe Orlanjis mit meinem vollen Vertrauen und in dem Wissen, dass er sich dieses Vertrauens als würdig erweisen wird, in den Grenzlanden zurückgelassen. Ich habe ihn angewiesen, die Nachtgeborenen auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Nachdem ich gesehen habe, wie sie kämpfen, mit ihnen gesprochen und ihren Vorbereitungen zugehört habe, möchte ich sie als Freunde und nicht als Feinde. Ich kenne und bestätige die Ungeheuerlichkeit des Angriffs auf den Turm. Bis wir allerdings herausgefunden haben, welche Rolle magische Einflüsse bei den Entscheidungen von Herzog Mycene – der übrigens inzwischen durch den magischen Angriff eines Schattengeborenen getötet wurde, wie ich hörte«, er sah die Überraschung Hearnes darüber, dass er bereits davon wusste, »und Herzog Kalamay gespielt haben, verbieten uns unsere Gesetze, Vergeltung zu üben.«
»Und was ist mit den Flugblättern der Nachtgeborenen?«, warf Prasav ein.
Flugblätter der Nachtgeborenen? Zehn Minuten waren einfach nicht genug gewesen. Aber das war sein Hof, nicht Prasavs. »Ich werde keinen Befehl unterzeichnen, der die Nachtgeborenen aus Minhorne vertreibt. Diese Stadt gehört ihnen ebenso wie uns … Aber all das spielt jetzt keine Rolle. Eure Prächtigkeiten und Magier des Tempels: Wie viel Zeit haben Sie verschwendet, während der Feind vorrückt, der meinen Vater ermordet hat und uns alle bedroht? Vor nicht einmal einem Tag habe ich versucht, Sie zu warnen« – war es wirklich erst einen Tag her? – »und wurde für meine Bemühungen entmachtet und auf Befehl eines von Schattengeborenen bestochenen Hauptmanns der Leibgarde hin beinahe erschossen.«
Prasavs Miene stellte die süße Rache für jene verzerrten Halbwahrheiten über Tam und die Kunsthandwerker dar. Prasav hatte nicht erwartet, dass Fejelis bereits im Bilde war.
»Aber nun zu den Taten Magister Tammorns, meines Mentors und Freundes. Er ist nicht hier, weil seine Vorgesetzten, die Meister des Tempels, ihn in die Lager des Feindes geschickt haben. Sagen Sie mir«, feuerte Fejelis auf die Hohen Meister ab, »dass Sie meinen Freund nicht ausgesandt haben, um mit dem Feind zu verhandeln!«
Am Rande seines Gesichtsfelds erhaschte er einen Blick auf das entsetzte Gesicht seiner Schwester, auf Jovances erstarrte Haltung, auf Lapaxo, der zum Sprung ansetzte, bevor dem Hauptmann klar wurde, dass die einzige Gefahr, vor der er seinen Prinzen nicht beschützen konnte, dessen eigener Wahnsinn war.
»Nein«, erklang eine Stimme, die er noch nie zuvor gehört hatte. »Ich habe ihn nicht ausgesandt, um mit dem Feind zu verhandeln.«
Die Stimme gehörte dem Erzmagier, der seit Menschengedenken nicht mehr laut vor Erdgeborenen gesprochen hatte – nicht einmal vor Tempeldienern. Der kleine Mann verschränkte die Hände und neigte sie in Fejelis’ Richtung,
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