Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
eine Geste des Respektes, wie vor zweihundert Jahren üblich.
Mehrere Augenblicke verstrichen, bevor Fejelis begriff, dass der Erzmagier diese Aussage nicht näher erläutern würde. Aber nun hatte er zu lange gewartet und den Anstoß für die naheliegendste Frage verloren. Dann sagte Jovance neben ihm mit einer mädchenhaften, aber entschlossenen Stimme: »Magister Erzmagier, Tammorn erklärte mir vor seinem Aufbruch, was Sie von ihm erbeten haben.«
Magistra Valetta sagte: »Und das war genau das, worum wir ihn gebeten haben.« Bisher war sie die selbstbewusste Sprecherin des Erzmagiers gewesen, durch die er sprach, aber nun hatte sie plötzlich etwas von einer Frau, die nicht länger wusste, was aus ihrem Mund purzeln würde.
»Bitte, erweisen Sie uns die Höflichkeit und erklären es uns«, sagte Fejelis leise.
»An ihren Taten«, erwiderte der Erzmagier, »sollen wir sie erkennen.«
»Sie haben Tammorn als Köder ausgeschickt«, sagte Fejelis langsam.
»Nach Lukfers Tod ist Tammorn der stärkste lebende Wildschlag«, warf Magistra Valetta ein. »Niemand wäre besser dafür geeignet gewesen als er. Aber wir konnten es ihm nicht sagen, weil wir wissen wollten … was sie sind.«
Ihr hatten sie es auch nicht gesagt, schlussfolgerte Fejelis. Pläne, die unter anderen Plänen verborgen waren – er verspürte beinahe Mitleid mit ihr. Er begegnete dem Blick des Erzmagiers, in dem Jahrhunderte der Erfahrungen lagen. Der Mann war älter als dreihundert Jahre, wie er wusste. Und der Vater des Erzmagiers – wie alt war er gewesen? Wie nah kam die Erinnerung des Erzmagiers an eine lebendige heran, die direkt auf jene zurückblickte, die den Fluch gewirkt hatten?
Er wog seine nächsten Worte ab. Durch Glück und Eingebungen war er so weit gekommen, aber nur, weil er seinen Gegnern einen Schritt voraus gewesen war. Jetzt standen sie alle still da und lauschten.
Die Freundschaft verlangte von ihm, für Tams Verschonung einzutreten, wie er es vor knapp einem Tag getan hatte, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Er war losgestürmt, um die Hohen Meister zur Rede zu stellen und dabei direkt in Prasavs Falle getappt. Er konnte von Glück sagen, noch am Leben zu sein, seine Geschwister noch an seiner Seite und seine Kappe zurückgewonnen zu haben. Zumindest bis jetzt. Mehr als die Hälfte davon entstammte dem Glück, dass er Tam begegnet war.
Er erinnerte sich, wie er mit seinem Vater in den Privatgemächern des Prinzen gefrühstückt und mit ihm eins ihrer seltenen Gespräche über den Preis und die Bürde des Prinzentums geführt hatte. Sie hatten selten darüber gesprochen, da es sinnlos schien: So sicher, wie die Nacht auf den Tag und der Sommer auf den Frühling folgte, würde Fejelis Prinz werden. Aber er erinnerte sich, wie sein Vater seine Augen halb gegen das Sonnenlicht geschlossen und gesagt hatte: »Und dann wird das erste Mal kommen, da du einen Freund opfern musst.«
Er konnte die Stille im Raum spüren, die erwartungsvolle Anspannung. Er fragte sich, was Jovance von ihm hielt, aber sollte sie sich entscheiden, bei ihm zu bleiben, würde sie schlimmere Taten von ihm sehen als diese, wenn er versuchte, etwas aus seiner Herrschaft zu machen und Erdgeborene und Magier zu retten.
»Und wissen Sie es schon?«, fragte Fejelis leise.
»Noch nicht«, antwortete der Erzmagier.
Telmaine
Sie hörte Ishmaels geknurrtes »Nein« und spürte, wie Magie mit Magie rang und wie sich Ishmaels großes, ungeformtes Brodeln gegen die Frau erhob. Plötzlich ließ das Heben sie los. Sie schwankte auf ihrem Hocker, dann beugte sie sich vor, um ihn durch die Stoffbahnen ihrer Röcke hindurch mit beiden Händen festzuhalten. Ultraschallrufe und Magie ihrer Gefährten liefen bei ihr zusammen, und der junge Grenzlandmagier Bryse sprang von einem ritterlichen Impuls angetrieben auf.
»Sollte ich … ?«, stieß sie keuchend an Farquhar gewandt hervor, obwohl sie nicht wusste, was sie eigentlich fragen wollte. Schließlich konnte weder er noch sonst jemand es ihr beantworten. Ich bin durch das Feuer gegangen, um meine Tochter zu retten, und Ishmael hat mich begleitet. Und als ihre Konzentration versagte, weil sie zu abgelenkt und erschöpft war, hatte er das Inferno zurückgehalten, obwohl es ihn seine Magie und beinahe sein Leben gekostet hatte.
Jetzt war es Ishmael, der in dem Inferno stand, und sie war diejenige, die es zurückhalten musste.
Bei ihrer Berührung spürte sie die Überraschung Ishmaels und der Frau. Telmaine
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