Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
er für einen Moment, von Schwindel befallen, auf Knien und Ellbogen verweilte. Magie, dachte er, dies musste Magie sein. Aber zu welchem Zweck?
»Ja«, hörte er den Jungen halb schreiend, halb keuchend hervorstoßen. »Ich habe es geschafft! Es ist so einfach. So einfach! Du lausiges Miststück, es ist kinderleicht.« Dann sackte er auf den Boden und zitterte von den Nachwirkungen seiner Magie.
Unter seinen Händen spürte Balthasar keine nassen Pflastersteine, sondern trockene Fliesen. Die Luft war kühl, aber es regnete nicht. Er roch den Staub und getrocknete Blumen eines seit Langem unbewohnten Hauses, obwohl dieser Geruch von einem schwachen Fäulnisgestank wie von vernachlässigten Küchenabfällen überlagert wurde. Er wandte den Kopf von Sebastien ab. Sein sanfter Peilruf offenbarte ihm auf seiner linken Seite einen kunstvoll verzierten Bogen über einer Tür. Er befand sich im Inneren eines Hauses.
Er kannte dieses Haus: Es stand in Minhorne. Sein Bruder hatte ihn einmalhierher gebracht und mit seinem Betrug geprahlt, der einen Mann in den Ruin getrieben und dessen Besitz in Lysanders Hände gespielt hatte. Vielleicht war es Gerechtigkeit, dass dieses Haus Lysanders Ruin bedeutet hatte. Als er es großzügig seiner Geliebten Tercelle Amberley schenkte – obwohl ihre Familie ein halbes Dutzend viel prächtigerer Häuser besaß – , beschwor es diesen letzten, fatalen Streit mit seiner Mätresse herauf, einer besitzergreifenden, launischen jungen Schauspielerin. Der Streit endete mit ihrem Tod und führte Lysander schluchzend in Balthasars Zimmer, wo er seinen vierzehn Jahre alten Bruder anflehte, ihm dabei zu helfen, den Leichnam aus der Stadt zu schaffen und dem Sonnenaufgang zu überlassen.
Eine Hilfe, die Balthasar seinem Bruder zu seinem ewigen Bedauern gewährt hatte.
Dies musste das Haus sein, in das Tercelle geflohen war, nachdem sie ihre Zwillinge bei ihm zurückgelassen hatte, und zu dem Telmaine und Ishmael ihr gefolgt waren. In diesem Haus war sie gestorben, zweifellos ermordet von den Schattengeborenen.
»Besorg mir etwas zu essen«, murmelte Sebastien schwach in seinen Arm hinein.
In der Küche tauschte Balthasar sein durchweichtes Jackett und das Wams gegen eine übergroße, aber dicke Dienstbotenweste, die er an einem Haken gefunden hatte. Er holte Brot, Hartkäse, Chutney und Honig aus der Speisekammer und bereitete aus den anderen Zutaten süßpikante Brote zu, weil er dem konservierten Fleisch nicht traute. Außerdem befanden sich in der Speisekammer Flaschen mit hellem Bier, das ihm noch aus seinen Studententagen vertraut war, obwohl diese Marke damals sein Budget bei Weitem überstiegen hatte. Das Öffnen zweier Flaschen stellte kaum ein Trinkgelage dar, und das Bier war wahrscheinlich sicherer als das Wasser.
Der Junge war zu der mit Teppich ausgelegten Treppe gekrochen und saß, mit dem Kopf in die Hände gestützt, auf der untersten Stufe. Er warf einen zögernden Peilruf auf das Tablett, das Balthasar neben ihm auf die Stufe stellte, griff dann aber mit beiden Händen nach einem belegten Brot und schlang es, ohne zu kauen, herunter. Der Anblick erinnerte Balthasar an Straßenkinder, wenn man ihnen etwas zu essen gab.
Er selbst verspürte keinen Appetit, wusste aber, dass er Nahrung brauchte, um dem Schock und der Unterkühlung entgegenzuwirken. Hartnäckig kämpfte er sich durch ein Honigbrot und spülte jeden äschernen Bissen mit Bier herunter. Während er die Flasche in seinen Händen drehte, kam ihm zu Bewusstsein, dass Alkohol ihn nicht von seinen Erinnerungen befreien würde.
»Warum?«, fragte er schließlich. »Warum all das? Warum Tercelle? Warum Stranhorne?«
Sebastien schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn du das nicht weißt.«
Unwissenheit hatte ihm früher auch nichts erspart. »Wo ist mein Bruder?«
»Tot.«
Es lag genug Gift in diesem Tonfall, um sein Wort eher als Wunsch denn als Wahrheit zu entlarven. Daher antwortete Balthasar auch nicht mit den herkömmlichen Bekundungen des Bedauerns. »Und wo ist deine Mutter?«
»Tot.«
»Sie muss eine starke Magierin gewesen sein.«
»Ich will nicht über sie reden«, entgegnete der Junge und zog am Taillenbund seiner Kniehosen. »Mir ist übel. Ich habe noch nie zuvor gehoben. «
Das war der magische Transport, ein sofortiger Transfer zwischen zwei Orten. Seine Schwester Olivede hatte ihn ihm beschrieben, obwohl man dazu mindestens ein Magier sechsten Ranges sein musste, und Olivede verfügte nicht
Weitere Kostenlose Bücher