Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren

deinem Vater?«, fragte er, und wusste, dass er ihr diese Frage nicht ersparen konnte.
    Sie schüttelte kurz den Kopf. »So wie das Herrenhaus gebrannt hat und in Flammen aufgegangen ist … Vielleicht blieb ihm und den anderen keine Zeit hinauszukommen.« Ihre Stimme klang kleinlaut und gepresst. »Wir können niemanden erübrigen, der zurückgeht, um nachzusehen.«
    »Ich denke, ihr könnt mich erübrigen. Zwar wird mir dein Vater die Haut abziehen, da seine Befehle vorsahen, dich in Sicherheit zu bringen, aber ich könnte innerhalb weniger Minuten unten an der südwestlichen Ecke sein.«
    »Vorausgesetzt«, erwiderte sie, »du gerätst nicht in Schwierigkeiten.«
    »Das vorausgesetzt«, bestätigte er. »Aber ich bezweifle, dass ich euch hier von großem Nutzen wäre.«
    »Dann ist da noch Dr. Hearne«, sagte sie.
    »Er wäre nach mir der Erste, der dir sagen würde, dass es richtig war, ihn zurückzulassen, wenn er nicht Herr seines eigenen Verstands ist. Aber du hast recht, ich würde auch versuchen, in den Garten der Baronin zu gelangen.«
    »Du solltest nicht allein gehen.«
    »Allein bin ich am schnellsten.« Mit seinem rechten Arm hakte er sich am Stützbein der Kutscherbank ein und überprüfte schnell beide Revolver. Nicht, dass er ihr nicht vertraute, aber er hatte zu hart daran gearbeitet, ihr und ihrer Schwester einzuhämmern, wie man es richtig machte.
    »Ishmael … «, begann sie. »Bitte, sei vorsichtig.«
    Er legte seine behandschuhte Hand kurz auf ihre, die auf dem Gewehrlauf ruhte. Der Aufenthalt an der frischen Luft hatte ihn wieder munter gemacht, und er fühlte sich, als könnte er stundenlang laufen. Dieser Schein trog zwar, aber er sollte ihn an sein Ziel bringen. »Wer ist der Beste, den wir auf der Südseite haben?«
    »Dyan.« Sie zeigte auf den Mann.
    Ishmael bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis er den Truppenführer fand, fest im Sattel auf einem jungen Vollblutpferd sitzend, das mehr Kampfgeist als Vernunft besaß. Es war Boris’ Lieblingspferd. Er hätte sich nach dem Baronet erkundigen sollen, aber dafür war es jetzt zu spät. Ishmael lief neben Dyans Steigbügel her und zeigte ihm, welchen Weg er nehmen wollte. Er würde auf dem Feld einen Ausfall machen und sich dabei auf gleicher Höhe mit Dyan und seiner Truppe halten, bis er sich außerhalb der Ultraschallreichweite befand. Jeden, der seinen Weg kreuzte, würde er zur Nachhut schicken.
    Ich sollte etwas gegen meine verfluchte Legende unternehmen, überlegte er, während er über ein Drehkreuz kletterte und quer über das frisch gemähte Feld lief. Jeder, der auf die Idee kommt, so etwas zu versuchen, sollte gesagt bekommen, dass er spinnt, und man sollte ihn zu seinem eigenen Wohl fesseln und in einen der Krankenwagen werfen. Stranhorne würde ihm einiges erzählen, obwohl ein Mann, der in seinem eigenen Keller Munition abfackelte, wohl kaum der richtige war, um einen anderen zu verurteilen. Doch Stranhornes Falle hatte die Schattengeborenen aus dem Gleichgewicht gebracht; das verriet Ishmael schon die Luft. Der Regen war zu einem beinahe warmen Nieseln geworden, und er spürte kaum noch etwas von der früheren Stärke der Schattengeborenen.
    Am anderen Ende des Feldes folgte er der Mauer bis zum Tor, öffnete es und schlüpfte auf das Gelände des Herrenhauses. Er bewegte sich so leise, wie er es bei diesem Tempo vermochte. Die lange Marschkolonne war immer noch gut vernehmbar. Nicht einmal maßloses Grauen konnte so viele Pferde, Karren und Kutschen, verletzte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge dazu bringen, sich möglichst lautlos zu bewegen. Ishmael hörte auch das Pfeifen des Windes über trockene Stoppeln, das Zwitschern und Flügelschlagen eines frühen Vogels, das Flattern einer Plane, die von Steinen beschwert war – die alltäglichen Geräusche dieses Gebietes. Der Wind, der vom Herrenhaus kam, wehte ihm ins Gesicht, sodass er seine Anwesenheit nicht verraten würde. Er selbst hatte wegen des schweren Gestanks nach Rauch und Munition seine liebe Not gehabt, irgendetwas zu riechen, bevor es ihn erreichte.
    Er kannte das Gelände des Herrenhauses gut, da er so manch vergnügliche Nacht hier verbracht und mit den Zwillingen und Kadetten der Truppe trainiert hatte. Er hatte sie gelehrt, wie man sich leise und mit einem Minimum an Sonar bewegte, wie man andere in der Dunkelheit ortete und ihre Anzahl bestimmte. Außerdem hatte er einen perfekten und unwillkommenen Magneten in Gestalt des Rufes. Er musste nur