Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
wäre politisch nicht vernünftig, wenn Nysander sich bei Seregil blicken läßt, aber wer würde schon das junge Mündel von Lord Seregil verdächtigen, das seinem Beschützer ein paar Dinge für die Nacht bringt? Vielleicht eine Decke und ein wenig sauberes Leinen …«
»Einen Dietrich!«
Thero bedachte Alec mit einem strafenden Blick. »Nur dann, wenn Ihr einen Platz am Galgen neben Seregil sucht. Meine Idee war eher, daß er uns vielleicht ein paar hilfreiche Informationen zukommen lassen kann, wenn man uns erlaubt, ihn zu sehen. Und wenn nicht – was können wir schon verlieren?«
»Ihr wärt sicher ein guter Spion geworden«, sagte Micum.
Thero blickte ein wenig beleidigt drein. »Nichts als einfache Logik. Meine Gedanken in dieser Angelegenheit sind nicht durch Emotionen getrübt.«
»Jedenfalls ist es eine hervorragende Idee«, sagte Nysander. Er schenkte dem jungen Zauberer einen anerkennenden Blick. »Gut gemacht, Thero.«
Alec erhob sich und griff nach seinem Umhang. »Ich werde augenblicklich gehen! Kommt Ihr, Micum?«
Nysander hob warnend die Hand. »Einen Augenblick noch, Ihr beide! Es ist von größter Bedeutung, daß Ihr die Tragweite Eurer Handlungen begreift. Sollte irgend etwas schiefgehen, haben wir jegliche Glaubwürdigkeit verspielt, die uns bei der Königin noch geblieben ist. Wir könnten uns alle zusammen im Roten Turm wiederfinden, wenn nicht schlimmer.«
Nachdem er gesagt hatte, was gesagt werden mußte, verspürte er Stolz, daß die anderen nicht schwankten. »Sehr schön. Ich möchte hinzufügen, daß jeder Fehltritt sich katastrophal auf das Ansehen der Königin auswirken wird; das muß unsere letzte Überlegung bei jeder Entscheidung sein. Wenn die Lerans hinter dieser Geschichte stecken, dann würde jeder Fehler unsererseits direkt in ihre Hände spielen. Ich bin sicher, daß sie sich über nichts mehr freuen würden als über den Anschein einer großmaßstäblichen Verschwörung, in die sogar ich selbst verwickelt bin. Denkt daran, und betet zu Illior um Glück in den Schatten.«
»Das werden wir«, antwortete Micum. »Kommt jetzt, Sir Alec! Auf uns wartet Arbeit!«
Ein feuchter Wind wehte vom Hafen her, als Alec und Micum vor dem Gefängnis in der Nähe der südlichen Stadtmauer eintrafen. Der Hauptturm war ein breites, häßliches Gebilde, umringt von einer Burgmauer. Sie stiegen im Außenhof von den Pferden, und Alec rümpfte die Nase wegen des entsetzlichen Gestanks nach Urin und brennendem Talg, der über dem Ort schwebte.
»Kaum zu glauben, daß ich noch heute morgen in Watermead aufgewacht bin«, flüsterte Alec und umklammerte das kleine Bündel, das er zusammengestellt hatte.
»Eher gestern morgen«, seufzte Micum. »Mitternacht ist längst vorüber.«
»Was machen wir, wenn sie uns nicht reinlassen?«
»Seid einfach so überzeugend wie möglich, und haltet genügend Goldstücke bereit. Werft die Kapuze Eures Umhangs zurück, damit die Wachen sehen können, daß Ihr ein Gentleman seid.«
Alec befolgte Micums Rat und klopfte am Tor.
Ein bärtiges Gesicht erschien in dem kleinen vergitterten Fenster. »Was wollt Ihr um diese nachtschlafene Zeit?«
»Gestern abend wurde ein Mann hergebracht«, sagte Alec. »Sein Name lautet Lord Seregil. Er ist mein Vormund, und ich habe Kleidung und eine Decke für ihn bei mir. Darf ich ihn bitte sehen? Nur für einen Augenblick?«
»Meint ihr diesen dunkelhaarigen Burschen?«
»Ja, das ist er.«
»Es ist verdammt spät, wißt Ihr?«
»Unbequemlichkeit hat ihren Preis.« Alec hielt einen halben Goldsester hoch. »Wir wären Euch sehr zu Dank verbunden.«
Micum trat näher heran. »Man hat doch nicht verboten, daß er Besuch empfangen darf, oder?«
Der Posten beäugte Alecs Münze, dann wandte er sich ab und beriet sich mit jemand anderem. Schließlich schwang das Tor auf.
»Ich denke, der junge Bursche kann keinen Schaden anrichten«, sagte der Posten und nahm die Münze entgegen. Anschließend führte er Alec und Micum in den Wachraum. »Aber nur er allein, und nicht länger als eine Minute. Ihr könnt hier am Feuer warten, Sir, wenn Ihr mögt, während er hinaufgeht. Zuerst möchte ich jedoch einen Blick in das Bündel werfen.«
Zufrieden über den Inhalt des Pakets und eine weitere Münze, übergab der Wachhabende Alec in die Obhut einer anderen Wache, die ihn in die Tiefen des kühlen Gemäuers führte.
Die Mauern schienen Alec erdrücken zu wollen, während er der Wache eine Steintreppe um die andere nach
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