Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
du’s erwähnst, muß ich sagen, mir eigentlich auch.«
Die Freude darüber, wieder in der Herberge zu weilen, wurde durch einen plötzlichen Mangel an Aufträgen getrübt. Bei den wenigen, die während ihrer Abwesenheit eingegangen waren, handelte es sich durchweg um nichtige Belange, und im Laufe der folgenden Woche trudelten nur äußerst schleppend neue ein. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, erlebte Alec, daß es Seregil langweilig wurde.
Erschwerend kam hinzu, daß der Spätwinter in Rhíminee trotz der länger werdenden Tage als trübseligste Zeit überhaupt galt. Der eisige Regen brachte immer dichteren Nebel von der See mit herein; und alles schien von einer grauen Feuchtigkeit durchdrungen. Alec ertappte sich ständig dabei, daß er bis lange nach Sonnenaufgang schlief und abends bei jedweder Beschäftigung einnickte, da ihn das Geräusch des Regens einlullte, das dem eines gleichmäßig pochenden Herzes ähnelte. Seregil hingegen wurde zunehmend rastlos.
Als Alec eines feuchtnassen Nachmittags gegen Ende des Dostin von einem Besuch bei Nysander zurückkehrte, fand er Seregil am Schreibtisch arbeitend vor. Das Pergament vor ihm war halb mit Notenschrift bedeckt, doch er schien die Freude an dem Unterfangen verloren zu haben. Das Kinn auf die Hand gestützt, starrte er trübsinnig in den dichten Nebel hinaus wie ein von seiner Liebsten verlassener Tropf.
»Hast du auf dem Weg herauf bei Rhiri vorbeigeschaut?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Nichts Neues«, erwiderte Alec und packte die Bücher aus, die der Magier ihm geliehen hatte.
»Verdammt. Und ich habe mich schon überall sonst erkundigt. Wenn die Leute sich weiterhin so anständig benehmen, stehen wir bald ohne Arbeit da.«
»Wie wär’s mit einer Partie Bakshi?« bot Alec an. »Ich könnte ein wenig Übung bei den Tricks brauchen, die du mir gestern gezeigt hast.«
»Vielleicht später. Ich bin nicht in der rechten Stimmung.« Entschuldigend zuckte Seregil mit den Schultern, dann wandte er sich wieder seiner Komposition zu.
Wie du willst, dachte Alec. Er räumte den Tisch in der Mitte des Raumes frei und setzte sich mit dem Sammelwerk über seltene Tiere hin, das Nysander ihm gegeben hatte. Der Text überstieg seine Fähigkeiten ein wenig, dennoch quälte er sich tapfer durch und holte sich Hinweise aus den Bildern, wenn ihm die Kernaussage eines Absatzes entging. Kalte Nebelschlieren zogen am Fenster vorbei, ein Feuer knisterte im Kamin, neben seinem Ellbogen stand eine Tasse Tee – alles in allem keine unangenehme Weise, einen Nachmittag zu verbringen. Die Aufgabe erforderte jedoch äußerste Aufmerksamkeit, die aufzubringen sich schon bald als schwierig erwies, denn Seregil erhob sich vom Schreibtisch und begann, durch das Zimmer zu schlendern. Zuerst spielte er mit einem ungewöhnlichen Schloß und bohrte geräuschvoll mit einer Reihe von Stochern in den Aussparungen herum. Eine Weile später warf er es in ein Regal zu den anderen und verschwand in seinem Zimmer, wo Alec ihn die dort herumstehenden Kisten und Truhen durchwühlen und laut vor sich hinbrummen hörte, entweder zu sich selbst oder der unerschütterlich treuen Ruetha.
Kurz darauf kam er mit einer Ladung Schriftrollen zurück. Mit den Füßen rückte er die vor dem Kamin verstreuten Kissen zurecht, dann ließ er sich nieder, um zu lesen. Doch auch dieser Zeitvertreib währte ähnlich kurz. Nach einem flüchtigen Blick landete Dokument um Dokument in rascher Folge entweder im Feuer oder auf einem staubigen Haufen unter dem Sofa; begleitet wurde der Vorgang von reichlich Pergamentgeraschel und getuschelten Randbemerkungen. Nachdem er damit fertig war, legte er sich auf die Kissen zurück und begann, leise durch die Zähne zu pfeifen; den Takt hielt er, indem er mit einer Stiefelspitze gegen die Ascheschaufel klopfte.
Nicht einmal Nysanders ausgezeichnetes Tierbuch hielt einer derart geballten Ablenkung stand. Als Alec feststellte, daß er denselben Satz soeben zum dritten Mal gelesen hatte, schloß er das Buch behutsam.
»Wir könnten im Hinterhof ein paar Schießübungen machen«, schlug er vor und versuchte, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen.
Überrascht schaute Seregil auf. »Oh, tut mir leid. Störe ich dich?«
»Na ja …«
Seufzend erhob er sich. »Ich fürchte, ich bin heute kein besonders erträglicher Zeitgenosse. Ich lasse dich besser in Ruhe.« Damit kehrte er in sein Zimmer zurück, aus dem er wenige Augenblicke später mit seinem besten
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