Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Umhang wieder herauskam. Auch den zerknitterten Kittel hatte er gegen ein ordentliches Oberkleid und eine Hose getauscht, wie Alec bemerkte.
»Wohin gehst du?«
»Ich denke, ich werde einfach nur ein bißchen Spazierengehen und frische Luft schnappen«, erwiderte Seregil und wich Alecs Blick aus, als er zur Tür eilte.
»Warte kurz, ich komme mit.«
»Nein, nein, lies du nur weiter«, beharrte Seregil hastig. »Und sag Thryis, sie soll mit dem Abendessen nicht auf mich warten. Es könnte spät werden.«
Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß, und Alec war alleiniger Herrscher ihrer gemeinsamen Gemächer.
»Na, zumindest hat er diesmal keinen Rucksack mitgenommen«, grummelte er Ruetha zu, die sich auf einem Bücherstapel neben ihm niedergelassen hatte. Eingerollt wie ein Igel, blinzelte ihn die Katze nur träge an.
Alec schlug das Buch wieder auf, stellte jedoch fest, daß er sich nun überhaupt nicht mehr konzentrieren konnte.
Schließlich warf er das Handtuch, stellte eine weitere Kanne Tee auf und spähte in Seregils Zimmer, während der Tee zog, aber aus dem wüsten Durcheinander stach kein augenscheinlicher Hinweis hervor.
Was hat er bloß vor, daß er einfach so davonspaziert?
Abgesehen von jener einen, geheimnisumwitterten Reise hatte ihn Seregil seit dem Sakor-Fest zu jedem Auftrag mitgenommen. Aber er hatte eigentlich auch nicht den Anschein erweckt, zum Arbeiten loszumarschieren.
Das Pergament lag immer noch auf dem Schreibtisch. Als Alec sich darüberbeugte, sah er, daß es sich um den Anfang eines Liedes handelte. An manchen Stellen waren die Wörter stark verschmiert, ganze Zeilen durchgestrichen und überschrieben. Was übriggeblieben war, lautete so:
Beschütz dies geschundene Herz eine Weile
kühl meine Stirn mit deinem Kuß.
Sag’ daß ich dich mit niemandem teile.
Belüg mich, o Liebster, so lang es sein muß.
Süß ist die Nacht, doch hart das Erwachen,
wenn die Sonne mich scheucht nach Haus.
Dann bringst du andere Herzen zum Lachen,
während mich verschlingt der Einsamkeit Graus.
Dein Haar auf dem Kissen, so gelb wie Gold,
deine Augen, so grün wie ein Fliederstrauch,
teuer wie Perlen, deine Dienste hold,
Danach folgte ein halbes Dutzend Zeilen, die anscheinend voll wachsender Entmutigung durchgestrichen worden waren.
Die Ränder des Blattes zierten halbfertige Skizzen und Bilder – Illiors Sichel, ein vollendet gezeichnetes Auge, Kreise, Spiralen, Pfeile, die Silhouette eines hübschen, jungen Mannes. In der linken, unteren Ecke befand sich eine hastig gekritzelte, dennoch unverkennbare – und komische – Abbildung von Alec, wie er mit finsterer Miene über seinen Büchern hockte; Seregil mußte sie vom Spiegelbild in der Fensterscheibe abgemalt haben.
Als er das Blatt zurücklegte, sprang ihm unter den auf der Werkbank neben dem Schreibtisch gestapelten Büchern ein vertrauter Einband ins Auge. Es handelte sich um die Aurënfaieische Tagebuchschatulle, die sie in der Orëska-Bibliothek entdeckt hatten. Alec war der Meinung gewesen, Seregil hätte sie mit den anderen Büchern zurückgegeben; gesprochen hatte er jedenfalls kein Wort mehr darüber, ebensowenig über den Hinweis auf den geheimnisvollen »Verzehrer des Todes«, auf den sie in dem Tagebuch gestoßen waren.
Alec öffnete es und blätterte die brüchigen Seiten behutsam durch. Obschon er sie nicht zu lesen vermochte, sahen sie doch genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte.
Er legte die Schatulle wieder so hin, wie er sie vorgefunden hatte und fragte sich zum ersten Mal, ob Seregils jüngste Unruhe vielleicht doch von etwas anderem als nur dem schlechten Wetter und der Langeweile herrührte. Genau genommen war er auch auf Watermead unruhig gewesen. In jenen Nächten, in denen sie sich das Bett im Gästezimmer geteilt hatten, wälzte sein Freund sich des öfteren im Schlaf herum und murmelte vor sich hin. Früher hatte er das nie getan. Welche Geheimnisse mochten ihn nur plagen?
»Oder vielleicht sehnt er sich ja auch nur nach seiner grünäugigen Mätresse?« dachte Alec laut und ließ den Blick belustigt und kichernd abermals über das Pergament streichen. Ruetha jedoch schien zu der Angelegenheit keine Meinung zu haben, und bald ertappte Alec sich dabei, im Zimmer auf und ab zu schreiten und beiläufige Bemerkungen zu ersinnen, mit denen er die Sache zur Sprache bringen wollte, sobald Seregil zurückkehrte. Wann auch immer das sein würde.
Da er sich in der Stille des trüben
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