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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Gefühl, in das Antlitz eines Fremden zu starren. Dann fügte sich plötzlich alles so nahtlos zusammen wie ein Riegel, der in ein Schloß fällt. Ruckartig beugte er sich vor und verschüttete vor Aufregung heißen Tee über seine Knie.
    »Es hat damit zu tun, nicht wahr?« rief er und klopfte sich auf die Brust. Dort, verborgen unter Nysanders Abdeckzauber, prangte der eingebrannte Abdruck der Holzmünze, die Seregil in Wolde von Lord Mardus gestohlen hatte – jener seltsamen, trügerisch schlichten Scheibe, die ihn beinahe das Leben gekostet hatte. »In der Nacht, als ich dir sagte, daß ich Illiors Orakel eine Zeichnung davon zeigen wollte, bist du aschfahl geworden. Damals dachte ich, du würdest gleich zusammenbrechen.«
    »Vielleicht verstehst du meine Aufregung jetzt«, erwiderte Nysander grimmig.
    Sie hatten seither nie wieder über diese Unterhaltung gesprochen, doch nun kehrte die bedrohliche Spannung, die Seregil dabei gespürt hatte, mit voller Wucht zurück. »Bei Bilairys Eingeweiden! Du hättest mich schon damals getötet!«
    Nysanders Kehle entrang sich ein tiefer Seufzer. »Ich hätte es mir nie verziehen, das kannst du mir glauben, aber ich wäre auch wütend auf dich gewesen, wenn du mich dazu gezwungen hättest. Weißt du noch, was ich damals zu dir gesagt habe?«
    »Ich sollte beten, daß ich nie herausfinden möge, was diese Scheibe in Wirklichkeit darstellt?«
    »Genau. Und willst du die anstehende Aufgabe übernehmen, mußt du das auch weiterhin als meine Antwort hinnehmen.«
    Bedrückt sank Seregil auf den Stuhl zurück. »Dieselbe alte Leier, wie? Und was, wenn ich nein zu alldem sage? Wenn ich, sofern du mir nicht die ganze Geschichte erzählst, nichts damit zu tun haben will?«
    Nysander zuckte mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, dann lösche ich diese Unterhaltung aus deinem Gedächtnis und schicke dich nach Hause. Gewiß gibt es noch andere, dir mir helfen können.«
    »Zum Beispiel Thero, was?« entfuhr es Seregil schnippisch, bevor er sich eines Besseren besinnen konnte.
    »Oh, um …«
    »Kennt er das große Geheimnis?« Die alte Eifersucht ergriff Besitz von Seregil. Das letzte, was er hören wollte, war, daß der junge Zauberlehrling mehr über die Angelegenheit wußte als er.
    »Er weiß weniger als du«, erwiderte Nysander verärgert. »Übernimmst du die Aufgabe jetzt oder nicht?«
    Seregil ließ ein verbittertes Knurren vernehmen.
    »Na schön. Worum geht’s?«
    Nysander zog einen Pergamentbogen aus dem Ärmel und reichte ihn Seregil. »Sag mir zunächst, wofür du das hier hältst.«
    »Sieht aus wie die Seite eines Buches.« Das Pergament war von Wetter oder Alter vergilbt. Seregil rieb eine Ecke zwischen den Fingern und roch daran, erst dann betrachtete er die Schrift darauf. »Es ist alt, mindestens vier oder fünf Jahrhunderte. In der ersten Zeit wurde ausgesprochen achtlos damit umgegangen, erst später wurde es sorgsam verwahrt. Und das Pergament ist eher aus der Haut eines Menschen oder eines Aurënfaie als aus der eines Rindes gemacht.« Abermals setzte er ab und überprüfte die Nahtlöcher am linken Rand. »Die Löcher sind noch ganz, was beweist, daß es behutsam aus einem Buch entfernt und nicht einfach herausgerissen wurde. Aber Feuchtigkeit hat es bereits ein wenig beschädigt. Die Farbe läßt mich vermuten, es wurde danach in Gift getränkt, das jedoch offensichtlich unschädlich gemacht wurde; andernfalls könnten wir es nicht berühren.«
    »Stimmt genau.«
    Vollends in die vor ihm liegende Aufgabe vertieft, spielte Seregil abwesend mit einer Haarsträhne.
    »Mal sehen. Die Schrift ist Alt-Asuit und auch in dieser Sprache verfaßt, die ihren Ursprung bei den Hügelvölkern nördlich von Plenimar hat. Daraus können wir folgern, daß der Verfasser entweder aus dieser Gegend stammte oder ein Sprachgelehrter war.«
    »So wie du, mein lieber Junge. Ich nehme an, du kannst den Text entschlüsseln, oder?«
    »Hmmm – ja. Liest sich wie die Phantastereien eines verrückten Propheten. Trotzdem ziemlich poetisch. ›Beobachte mit mir, mein Lieb, wie Dämonen den Wein der Süße berauben.‹ Dann steht da etwas über Pferde – und ›Die güldne Flamme vermählt sich mit Dunkelheit. Der Wundersame kommt, um die Knochen des Hauses zu liebkosen …‹ Nein, das war falsch. Es heißt ›die Knochen der Welt‹.«
    Er ging an den Tisch und zog eine Lampe herbei. »Ja. Erst dachte ich, es wären nur ein paar Fehler bei den Akzentzeichen, aber ich habe mich geirrt.

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