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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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seiner freien Hand ab. Dann blickte er wieder auf und sah in Augen, blau und voller Sorge.
    »Schmerzt die Wunde, kleiner Bruder?«, fragte Lhial und tätschelte Seregils Wange.
    »Nicht sehr.«
    »Das ist gut. Es wäre wirklich eine Schande, so geschickte Hände zu beschädigen.« Lhial lehnte sich an die Wand auf der anderen Seite, zog irgendetwas aus den Schatten über seinem Kopf hervor und warf es Seregil zu.
    Er fing den Gegenstand auf und stellte fest, dass seine Hände eine allzu vertraute Glaskugel umklammerten, die etwa die Größe einer Pflaume hatte. In der dunklen, leicht aufgerauten Oberfläche konnte er das Spiegelbild seines eigenen erschrockenen Gesichts erkennen.
    »Sie waren nicht schwarz«, flüsterte er, mit der Kugel in der Hand.
    »Träume«, bemerkte der Rhui’auros achselzuckend.
    »Was ist das?«
    »Was ist das?«, ahmte ihn der Rhui’auros nach und warf zwei weitere Kugeln, noch ehe er die erste zur Seite legen konnte.
    Seregil fing die erste, verpasste jedoch die zweite. Gleich neben seinem Knie zerbrach sie, und aus ihrem Inneren, ergossen sich Maden über ihn. Für einen Augenblick erstarrte er, dann wischte er die Kreaturen angewidert weg.
    »Es gibt noch viele andere«, sagte der Rhui’auros grinsend und warf weitere Kugeln nach ihm.
    Es gelang Seregil, fünf davon zu fangen, ehe eine weitere zerbrach. Aus dieser stieg eine Schneewolke auf, die für einen Augenblick in der Luft glitzerte, ehe sie schmolz.
    Seregil blieb kaum Zeit, sich zu wundern, denn der Rhui’auros warf schon die nächsten Kugeln. Wieder zerbrach eine von ihnen, aus der ein leuchtend grüner Schmetterling von einer Sommerweide Bôkthersas herausflatterte. Und noch eine, die ihn mit dunklem klumpigem Blut und Knochensplittern befleckte. Immer mehr flogen aus den Fingern des Rhui’auros herbei, eine nach der anderen, bis Seregil einen ganzen Haufen von ihnen zusammengesammelt hatte.
    »Es sind wahrhaft geschickte Hände, die so viele von ihnen fangen können«, stellte Lhial anerkennend fest.
    »Was sind sie?«, fragte Seregil noch einmal, ohne sich zu bewegen, fürchtete er doch, er könnte noch mehr von ihnen zerbrechen.
    »Sie gehören dir.«
    »Mir? Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.«
    »Sie gehören dir«, beharrte der Rhui’auros auf seinen Worten. »Nun musst du sie alle einsammeln und mitnehmen. Nur zu, kleiner Bruder, sammle sie ein.«
    Nun drohte ihn tatsächlich das Gefühl der Hilflosigkeit zu überwältigen, das ihm aus seinen Träumen vertraut war. »Ich kann nicht. Es sind zu viele. Lasst mich wenigstens mein Hemd holen.«
    Der Rhui’auros schüttelte den Kopf. »Rasch, rasch. Es ist Zeit zu gehen, aber du kannst nicht fort, ehe du sie nicht alle genommen hast.«
    Wieder schimmerten die Augen des Rhui’auros golden, während er ihn durch den wabernden Dampf anstarrte, und Seregil fühlte, wie sich die Furcht gleich einer schweren Last über ihn legte.
    Gebückt stand er in der niedrigen Kammer und versuchte, sich die Kugeln auf die Arme zu laden, doch sie entglitten seinem Griff wie Eier, zerplatzten und gaben Schmutz, Parfüm, Musik und Fragmente verkohlter Gebeine frei. Er konnte sich nicht rühren, ohne sie zu zerbrechen oder aus seinem Blickfeld hinaus in den Schatten zu stoßen.
    »Es geht nicht!«, schrie er. »Sie gehören mir nicht. Ich will sie nicht!«
    »Dann musst du wählen, und du musst es schnell tun«, erklärte der Rhui’auros so wohlwollend wie erbarmungslos. »Ein Lächeln kann Messer verbergen.«
    Das Licht erlosch, und Seregil stürzte in absolute Finsternis.
    »Ein Lächeln kann Messer verbergen«, flüsterte Lhial noch einmal so nahe an Seregils Ohr, dass er zusammenzuckte und die Hand ausstreckte, doch er traf auf keinen Widerstand. Nur leere Luft umschloss seine Finger. Er wartete einen Augenblick, ehe er vorsichtig noch einmal um sich tastete.
    Die Kugeln waren verschwunden.
    Lhial war verschwunden.
    Verwirrt und verärgert und kein Stückchen weiser als vor seinem Besuch, krabbelte Seregil auf der Suche nach der Tür über den Boden, konnte sie jedoch nicht finden. Mit den Händen tastete er sich an der Wand entlang und drehte so mehrere Runden durch den kleinen Raum, ehe er schließlich aufgab; die Tür war ebenfalls verschwunden.
    Er kehrte zu seiner Matte zurück und hockte sich unglücklich darauf, die Arme um die Knie geschlungen. Die letzten Worte des Rhui’auros, die seltsamen Glaskugeln, die ihn nun nicht mehr nur in seinen Träumen verfolgten – all das

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