Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
den Lippen, als etwas hart in sein Gesicht schlug. Für einen Augenblick vom Schmerz geblendet, kämpfte er wie wild gegen das Gewicht an, das auf seiner Brust und seinen Beinen lastete. Es verschwand und machte einem Schwall kalter Luft Platz, die über seine schweißfeuchte Haut strich. Der kupferne Geschmack frischen Blutes auf seiner Zunge bereitete ihm Übelkeit. Würgend betastete er vorsichtig seine Nase. Sie war feucht. »Was zur Hölle …«
»Tut mir leid, Talí.«
Es war noch zu dunkel. Alec konnte Seregil nicht sehen, aber er hörte ein Rascheln in der Finsternis und fühlte eine sachte Berührung am Arm.
Er spuckte in die entgegengesetzte Richtung aus und versuchte, den Geschmack des Blutes loszuwerden. »Was ist passiert?«
»Tut mir leid«, wiederholte Seregil. Wieder hörte Alec Rascheln, dann blinzelte er in der überraschenden Helligkeit eines Lichtsteines. Seregil hielt ihn in einer Hand und rieb sich den Hinterkopf mit der anderen. »Sieht aus, als hätte mein Alptraum uns beide aus dem Schlaf gerissen.«
»Nächstes Mal kannst du dich allein aufwärmen«, grummelte Alec, der mit mäßigem Erfolg versuchte, sich in die Decke einzuwickeln.
Seregil griff nach der anderen und benutzte eine Ecke des Stoffes, um Alecs Nasenbluten zu stoppen. Doch seine Hände zitterten furchtbar, und Alec wich zurück, um weiteren Schaden zu vermeiden. »Wie lange haben wir geschlafen?«
»Lange genug. Lass uns weiterziehen«, antwortete Seregil, dessen geweitete Augen eine Verwirrung verrieten, die Alec beinahe körperlich spüren konnte.
Schweigend kleideten sie sich an und erzitterten unter dem unangenehmen Gefühl der feuchten Wolle und des nicht minder feuchten Leders. Draußen heulte immer noch der Wind, aber Alec fühlte eine Wetteränderung. Als er die Hütte verließ, konnte er durch lange Risse in der Wolkendecke Sterne erkennen. »Nur noch eine oder zwei Stunden bis Sonnenaufgang.«
»Gut.« Seregil glitt auf den Rücken seines Pferdes und schlang die Führungsleine des Ersatzpferdes um den Sattelknauf. »Bis dahin dürften wir den ersten geschützten Pass erreicht haben.«
»Geschützt?«
»Verzaubert«, erklärte Seregil, der inzwischen beinahe wieder wie der Alte klang. »Ich könnte ihn bei Dunkelheit passieren, aber für dich mit verbundenen Augen ist es zu gefährlich. Der Weg ist stellenweise recht tückisch.«
»Na endlich etwas, worauf ich mich freuen kann«, grollte Alec und tupfte seine Nase mit dem Ärmel ab. »Das und ein kaltes Frühstück auf dem Rücken eines Pferdes.«
Seregil betrachtete ihn mit hochgezogenen Brauen. »Du hörst dich schon beinahe so an wie ich. Als nächstes wirst du womöglich nach einem heißen Bad verlangen.«
Nyal machte großes Aufhebens um die Untersuchung der skalanischen Ställe und suchte nach Hufspuren, obwohl er bereits eine recht gute Vorstellung davon hatte, wohin Seregil und seine Begleiter geritten waren. Er hatte sie lange genug beschattet und beobachtet, wie sie die Pferde gewechselt und ihren Weg auf der Hauptstraße fortgesetzt hatten. Später, vor dem Iia’sidra, hatte er gehört, wie der Khirnari der Akhendi Nazien í Hari von einem bestimmten Pass erzählt hatte, den Seregil vermutlich nehmen würde, einem Pass, der Nyal aus ganz anderen Gründen wohl bekannt war.
Er nahm zwölf Reiter mit auf die Jagd, junges Blut aus den gemäßigteren Clans, darunter auch einige seiner Verwandten. Er hatte die Reiter sorgsam ausgewählt, darauf bedacht, nur junge Männer mitzunehmen, auf deren Gehorsam er zählen konnte.
Als er vor Einbruch der Dunkelheit erneut die Wegestation erreichte, befragte er den Burschen, der die Pferde versorgte, und erfuhr, dass die drei Meldereiter in der vergangenen Nacht ein vereinbartes Signal nicht gegeben hatten, ein Umstand, der bereits Verdacht erregt hatte, kaum dass sie außer Sichtweite waren. Dies und die Tatsache, dass die skalanische Reiterin offenbar mehr Aurënfaiisch verstand, als sie zugeben wollte.
An der Wegestation war ihre Spur leicht wieder aufzunehmen; die Stute, die Beka mitgenommen hatte, trug eine Kerbe in ihrem linken Hinterhuf. Einige Meilen weiter stellte Nyal jedoch überrascht fest, dass sich mehrere andere Reiter zu ihnen gesellt hatten. Seregil und Alec mussten noch frecher sein, als er es ihnen zugetraut hätte, wenn sie sich hier als Akhendi ausgaben. Sie hatten sich offensichtlich keine Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen, und waren auf der Hauptstraße geblieben, statt sich
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