Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Anflug von Hoffnung fest.
Seregil nickte geistesabwesend, seinen forschenden Blick auf Korathan gerichtet. Es musste mehr als dreißig Jahre her sein, seit sie gemeinsam die Schmelztiegel der Unterstadt durchstreift hatten. Die Zeit hatte dem Mann übel mitgespielt und ihn grimmig bis an die Grenze zur Melancholie werden lassen. Dort, im Schatten eines knorrigen Baumes, schien er sogar die friedliche Umgebung mit Unbehagen zu betrachten – unbeeindruckt von dem warmen Sonnenschein oder den lächelnden Gesichtern der Gedre, die ihn so großzügig umsorgten.
Dieser Mann wurde allein für den Kampf geschaffen, dachte Seregil. Doch er war auch ein vernünftiger Mann, anderenfalls würden sie nun nicht hier sitzen.
Schon bald kehrte Riagil mit guten Neuigkeiten zu ihnen zurück. »Der Iia’sidra gewährt Euch Einlass in die heilige Stadt, Korathan í Malteus«, verkündete er frohgemut. »Allerdings stellt er Bedingungen.«
»Damit habe ich gerechnet«, antwortete Korathan. »Und wie lauten sie?«
»Ihr dürft Eure Zauberer mitnehmen, aber nicht mehr als zwanzig Soldaten, und Ihr müsst Eure Schiffe anweisen, außerhalb meines Hafens zu ankern.«
»Einverstanden.«
»Außerdem könnt Ihr Teth’sag nur durch Eure Blutsverwandtschaft mit den Bôkthersa fordern. Adzriel wird vor dem Rat für Euch sprechen.«
»Das wurde mir bereits erklärt«, entgegnete der Prinz. »Wenngleich ich nicht verstehe, warum es meiner Schwester Klia gestattet wurde, selbst vor dem Rat zu sprechen, mir jedoch nicht.«
»Das ist eine andere Sache«, erklärte Riagil. »Klia kam, um zu verhandeln. Ihr hingegen wollt eine Angelegenheit des Atui vor dem Rat zur Sprache bringen, und ich bedaure, das sagen zu müssen, aber einige der Clans könnten Euch das Recht dazu abstreiten wollen. Die Tírfaie – alle Tírfaie – haben vor dem Gesetz von Aurënen nicht die gleichen Rechte. Doch seid unbesorgt, Adzriel wird Euch gewiss eine große Hilfe sein.«
Korathan maß Riagil mit finsteren Blicken. »Also haltet Ihr uns für minderwertig, richtig?«
Der Khirnari legte eine Hand auf sein Herz und verbeugte sich andeutungsweise. »Einige unter uns denken so, mein Freund, doch ich nicht. Bitte glaubt mir, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um dafür zu sorgen, dass Eurer Schwester und Lord Torsin Gerechtigkeit widerfährt.«
Am Nachmittag setzten sich die Reisenden mit Riagil und einer Eskorte von zwanzig bewaffneten Gedre in Bewegung. Dieses Mal gab es weder Packtiere noch Musikanten, die sie unterwegs hätten aufhalten können. Korathan, der noch nie viel von unnötigem Trara gehalten hatte, führte seine Reiter, die wie er nur das Nötigste bei sich trugen, an, als wären sie auf einem Feldzug.
Seregil und Alec ritten in den Reihen der Skalaner, gekleidet in die Waffenröcke und weiten Helme von Korathans Leibgarde.
»Da hast du endlich deine Uniform«, spottete Seregil, als Alec an dem Riemen des Helms herumfummelte. »Mit dieser Verkleidung und dem dunklen Haar wird dich wahrscheinlich nicht einmal Thero wiedererkennen.«
»Hoffen wir einfach, dass mich auch die Akhendi nicht erkennen«, konterte Alec, und musterte die Klippen, die diesen Teil der Straße begrenzten. »Glaubst du, jemand könnte sich wundern, warum wir als einzige aus der skalanischen Delegation keine Waffen tragen?«
»Wenn uns jemand fragt, geben wir uns als Korathans Leibköche aus.«
Sie passierten die dravnische Wegestation in der Absicht, ihr Lager erst weiter oben an dem Pass zu errichten. Als sie den ersten Bereich der geschützten Wegstrecke erreicht hatten, ließ sich Korathan die Augenbinde bereitwillig anlegen. Er bemerkte sogar, er wünschte sich, Skala verfügte über ähnliche Schutzmaßnahmen.
Spät am nächsten Vormittag erreichten sie den dampfenden Vhadä’nakori-See, an dem sie eine Pause einlegten, damit sich die Pferde ein wenig erholen konnten. Seregil und Alec blieben bei den Soldaten, während Riagil Korathan und seine Zauberer zu dem steinernen Drachen führte.
Seregils Stute blies sich gerne auf, wenn sie gesattelt wurde, und beim letzten Stück des Weges mit Augenbinden, hatte Seregil gespürt, dass der Sattel zu rutschen begann. Also zurrte er die Gurte fester, nachdem er sie getränkt hatte, doch dieses Mal versetzte er ihr einen kräftigen Klaps an den Bauch, um sie zum Ausatmen zu bewegen.
Während er mit seinem Pferd beschäftigt war, lauschte er mit halbem Ohr den verschiedenen Gesprächen um ihn herum.
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