Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Familie, die viel herumgekommen ist. Auf die eine oder andere Art sind wir mit den meisten Clans in Aurënen verwandt. Man sagt uns nach, deshalb – wie war noch das Wort? – nachsichtiger zu sein als andere. Wirklich, Seregil, auch wenn meine Großmutter eine Haman ist, hege ich keinen Groll gegen Euch.«
»Oder ich gegen Euch«, entgegnete Seregil nicht ganz überzeugend. »Wenn Ihr mich entschuldigen würdet.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wendete er sein Pferd und ritt zum Ende der Kolonne.
»Die Reise nach Aurënen ist nicht einfach für ihn«, sagte Alec entschuldigend. »Ich würde gern erfahren, was Ihr mir über die Hâzadriëlfaie erzählen könnt. Morgen vielleicht?«
»Dann also morgen. Wir werden uns die lange Zeit des Ritts gut vertreiben können.« Mit einem kurzen Gruß ritt Nyal wieder zurück in die Reihen der skalanischen Reitersoldaten.
Alec ließ sich zu Seregil zurückfallen. »Was ist denn los?«, fragte er leise.
»Wir werden auf ihn aufpassen müssen«, knurrte Seregil.
»Warum? Weil er teilweise ein Haman ist?«
»Nein, weil er unser Gespräch trotz des Hufgetrappels aus zwanzig Fuß Entfernung mitangehört hat.«
Alec blickte sich über die Schulter um und sah, dass der Übersetzer mit Beka und ihren Offizieren plauderte. »Das hat er tatsächlich?«
»Ja, das hat er.« Seregil senkte die Stimme und sagte leise auf Skalanisch: »Unsere langen Ferien sind vorbei. Es ist Zeit, wieder zu denken wie …« Er hob die linke Hand und legte rasch den Daumen über den Ringfinger.
Ein Schauder rann über Alecs Rücken; dies war das Zeichen für ›Wächter‹. Und er sah es nun zum ersten Mal seit Nysanders Tod.
Das Clan-Haus, von dem Riagil gesprochen hatte, erinnerte eher an ein ummauertes Dorf. Weiße, weinberankte Mauern umschlossen ein Labyrinth aus gepflasterten Hofflächen, Gärten und Häusern, die mit den Bildern von Meeresbewohnern geschmückt waren. Blühende Bäume und Blumen erfüllten die Luft mit ihrem schweren Duft, der sich mit dem erfrischenden Hauch frischen Wassers vermengte.
»Das ist wunderschön!«, rief Alec aus, obgleich selbst das kaum die Wirkung wiedergeben konnte, die dieser Ort auf ihn ausübte. Während all seiner Reisen hatte er nie etwas gesehen, das dem Auge so schnell und umfassend eine wahre Wonne bereitete.
»Das Heim eines Khirnari ist der Mittelpunkt jeder Fai’thast«, erklärte ihm Seregil, offensichtlich erfreut über seine Reaktion. »Du solltest Bôkthersa sehen.«
Ich hoffe bei den Vieren, dass wir das eines Tages gemeinsam tun werden, dachte Alec.
Riagil ließ die Reitereskorte auf einem ausgedehnten Hof innerhalb der Mauern zurück und führte seine Gäste zu einem geräumigen Haus mit vielen Kuppeldächern in der Mitte des Anwesens.
Als er abgestiegen war, verbeugte er sich vor Klia. »Seid mir in meinem Heim willkommen, verehrte Dame. Es ist bereits alles zu Eurem Wohl und dem Eurer Leute vorbereitet.«
»Ich bin Euch zutiefst dankbar«, erwiderte Klia.
Riagil und seine Frau, Yhali, führten die skalanischen Edelleute durch kühle, geflieste Korridore zu einer Zimmerflucht, von der aus man den inneren Hof überblicken konnte.
»Da, schau!«, rief Alec lachend, als er ein Paar brauner Eulen erspähte, die auf einem der Bäume nisteten. »Man sagt, Eulen seien die Boten Illiors – Auras, wollte ich sagen. Ist das hier auch so?«
»Nicht Boten, aber trotzdem besonders begünstigte Kreaturen und ein gutes Omen überdies«, entgegnete Riagil. »Vielleicht, weil sie die einzigen Raubvögel sind, die die jungen Drachen verschonen, die die wahren Boten Auras sind.«
Alec und Seregil erhielten einen kleinen, weiß getünchten Raum am Ende der langen Reihe der Gästezimmer zugeteilt. In den grob strukturierten Wänden waren unzählige, stark geschwärzte Lampennischen eingelassen. Die Möbel waren von schlichter Eleganz, schnörkellos aus hellem Holz gefertigt. Das mächtige Bett, das von mehreren Lagen eines luftigen Stoffes umrahmt war, den Seregil als Gaze bezeichnete, war nach all den Tagen in beengten Massenschlafstätten auf See ein besonders willkommener Anblick. Während er sich umsah, fühlte Alec eine Begierde, die er während der Seereise mühsam unterdrückt hatte, und er bedauerte, dass sie nur eine einzige Nacht in diesem Haus verbringen würden.
»Unser Baderaum steht Euch und Euren Damen zur Verfügung«, erklärte Yhali Klia, als sie sich gemeinsam mit Riagil zum Gehen wandte. »Ich schicke Euch einen Diener, der
Weitere Kostenlose Bücher