Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Stuhl, nahm ihm den Kamm ab und machte sich weit vorsichtiger daran, die Knoten aus dem Haar zu lösen, ehe er den Kamm in einem beruhigenden Rhythmus stetig durch die Strähnen zog, als würde er ein temperamentvolles Ross striegeln. Zorn strahlte glühend heiß von Seregil aus, aber Alec ignorierte seine Wut, wohlwissend, dass sie sich nicht gegen ihn richtete.
»Glaubst du, dass Torsin wirklich vorhat …?«
»Genau das hat er vor!«, schäumte Seregil. »So etwas zu sagen, und dann noch in Anwesenheit der Diener … als müsste ich daran erinnert werden, warum ich in meinem eigenen Land keinen Namen mehr habe!«
Alec legte den Kamm weg, zog Seregils Kopf an seine Brust und legte die Hände an die Wangen seines Freundes. »Es ist nicht von Bedeutung. Du bist hier, weil Idrilain und Adzriel dich hier haben wollen. Lass den anderen Zeit. Hier bist du seit vierzig Jahren nichts anderes als eine Legende. Zeig ihnen einfach, was aus dir geworden ist.«
Seregil ergriff Alecs Hände, ehe er sich erhob und ihn an sich zog. »Ach, Talí«, grummelte er, während er ihn in den Armen hielt. »Was sollte ich nur ohne dich anfangen?«
»Darum musst du dir bestimmt keine Sorgen machen«, gelobte Alec. »Aber jetzt müssen wir uns durch ein Festmahl kämpfen. Spiel den Lord Seregil, so gut du nur kannst. Beschäme sie mit deinem Charme.«
Seregil stieß ein bitteres Gelächter aus. »Nun gut, also Lord Seregil, und wenn das nicht reicht, sie für mich zu gewinnen, dann bin ich immer noch der Talímenios eines berühmten Hâzadriëlfaie, nicht wahr? Wie der Mond am Himmel hängt, werde ich die ganze Nacht an dir kleben und die strahlende Brillanz deiner Tugenden in meiner eigenen düsteren Oberfläche spiegeln.«
»Benimm dich«, warnte ihn Alec. »Ich erwarte eine süßere Stimmung von dir, wenn wir heute Nacht hierher zurückkehren.« Er küsste Seregil, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen, und stellte erfreut fest, wie die zusammengepressten Lippen sich entspannten und zum Kuss öffneten.
Illior, Beschützer der Diebe und Wahnsinnigen, schenk uns Verschlagenheit genug, diesen Abend zu überstehen, dachte er.
Torsin war nicht zu sehen, als eine junge Frau erschien, sie zur Tafel zu geleiten. Thero hingegen schon, und Alec erkannte bar jeden Zweifels, dass der Zauberer darauf aus war, Eindruck zu schinden. Silberne Stickereien zierten seine dunkelblaue Robe, und der Zauberstab, den er an Bord der Zyria benutzt hatte, steckte in einem goldgeprägten Gürtel. Wie Alec und Seregil trug auch er das Wappen von Flamme und Halbmond, das das Haus Klias kennzeichnete.
Das Festmahl fand in einem großen Innenhof nahe dem Zentrum des Anwesens statt. Alte Bäume streckten ihre Äste über den langen Tischen aus, und an den knorrigen Stämmen und den unteren Zweigen leuchteten Hunderte von kleinen Lampen.
Als er sich unter der versammelten Gesellschaft umblickte, erkannte Alec erleichtert, dass die Gedre offenbar wenig auf Konventionen und Zwänge gaben. Gäste aller Altersklassen unterhielten sich und lachten gemeinsam. Für ihn, der in den Nordländern aufgewachsen war, waren die Faie stets eine Legende gewesen, irgendwie magisch und Ehrfurcht gebietend. Nun, inmitten eines ganzen Clans dieses Volkes, fühlte sich Alec, als wäre er wieder in Watermead und teilte das Brot am Ende des Tages mit den Bewohnern des Anwesens.
An einem Tisch neben dem Tor entdeckte er Beka. Er warf Seregil einen hoffnungsvollen Blick zu, doch ihr Führer drängte sie bereits auf den Tisch des Khirnari unter dem größten Baum zu. Klia und Torsin saßen zu Riagils Rechten, Amali ä Yassara zu seiner Linken. Wenig erfreut fand sich Alec bald weit entfernt von den anderen zwischen zwei Enkelkindern Riagils wieder.
Andererseits stellte er fest, dass das Essen und die geforderte Etikette weit weniger kompliziert waren als alles, was er bei skalanischen Banketten bisher erlebt hatte.
Gedämpfter Fisch, ein edles Wildragout und mit Käse, Gemüse und Gewürzen gefüllte Pasteten wurden zusammen mit Körben voller Brot, gebacken in der Form von Fabeltieren, aufgetragen. Bald darauf folgten Platten mit gebackenem Gemüse, Nüssen und diversen Olivenarten. Aufmerksame Diener sorgten dafür, dass sein Glas stets mit einem würzigen Getränk, das seine Sitznachbarn Rassos nannten, gefüllt war.
Es gab kein reguläres Unterhaltungsprogramm. Stattdessen standen Essensgäste einfach nach und nach auf, intonierten ein Lied oder vollführten
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