Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
stellenweise war er so eng, dass gerade noch ein Pferd ihn passieren konnte. Alec dachte gerade darüber nach, wie es sein musste, wenn man hier den Winter draußen verbringen musste, als etwas auf seiner zurückgeklappten Kapuze landete. Er griff in seinen Nacken, in der Erwartung, einen Erdbrocken zu finden. Stattdessen glitt etwas Schwerfassbares durch seine Finger.
»Auf mir ist etwas«, zischte er, während er im Stillen zu Dalna betete, dass dieses Etwas nicht giftig oder sonstwie gefährlich war.
»Halt still«, forderte ihn Seregil auf und stieg vom Pferd.
Leichter gesagt als getan, dachte Alec, als das Etwas seine Haare hinaufkletterte. Das Kribbeln kleiner Klauen auf seiner Haut verriet ihm immerhin, dass es sich nicht um eine Schlange handeln konnte. Er löste einen Fuß aus dem Steigbügel, und Seregil stieg hinein und zog sich hoch, um nachzusehen.
»Beim strahlenden Licht!«, rief er offensichtlich erfreut auf Aurënfaiisch. »Der erste Drache!«
Sein Ruf wurde von den Aurënfaie aufgenommen und weitergegeben, und alle, die nahe genug waren, drängten sich um sie herum.
»Ein Drache?« Alec versuchte, den Kopf zu drehen, um ihn ebenfalls sehen zu können.
»Ein Fingerling. Vorsichtig jetzt.« Vorsichtig löste Seregil den Drachen aus Alecs Haar und legte ihn in seine Hände.
Die kleine Kreatur sah aus wie eine lebendig gewordene Buchillustration. In jeder Weise wohlproportioniert, war sie doch kaum fünfzehn Zentimeter groß, und ihre fledermausartigen Schwingen waren so zart, dass er durch die dünne Haut den Schatten seiner Finger erkennen konnte. Schlitzförmige Pupillen blickten aus goldenen Augen, und der schmale Schlund wurde von stacheligen Barthaaren gesäumt. Nur die Farbe enttäuschte Alecs Erwartung. Der Drache war braun marmoriert wie eine Kröte.
»Heute seid Ihr unser Glücksbringer«, sagte Riagil zu ihm, als er mit Amali, Klia und Thero aus dem Gedränge der Soldaten hervortrat.
»Das ist Brauch bei uns, wenn wir den Pass bereisen«, erklärte ihm Amali lächelnd. »Der erste Reisende, der so von einem Drachen berührt wird, ist der Glücksbringer, und jeder, der Euch berührt, bevor der Drache wieder fortfliegt, hat Teil an diesem Glück.«
Alec war ein bisschen verlegen, als sich die anderen um ihn drängten, um sein Bein zu berühren. Der Fingerling schien es nicht eilig zu haben, wieder fortzufliegen. Er schlang seinen peitschenartigen Schwanz um Alecs Daumen und schob den Kopf unter seinen Ärmel, als wolle er eine potenzielle Höhle erkunden. Der weiche Bauch lag heiß auf seiner Handfläche.
Klia streckte die Hand aus, um den Rücken des Drachen zu streicheln. »Ich dachte immer, sie wären bunt.«
»Die Gesetze haben keinen Einfluss auf Falken oder Füchse«, erklärte Seregil. »Diese kleinen Drachen nehmen die Farbe ihrer Umgebung an, um sich zu tarnen. Trotzdem überleben nur wenige von ihnen, was vermutlich auch gut so ist. Anderenfalls würden wir unter Drachen ersticken.«
Alecs kleiner Passagier begleitete ihn noch über eine Stunde, untersuchte die Falten seines Mantels, verkroch sich unter seinem langen Haar und widersetzte sich allen Versuchen, ihn an einen anderen Reiter weiterzugeben. Dann jedoch krabbelte er plötzlich auf Alecs linke Schulter und biss ihn kräftig ins Ohrläppchen.
Alec stieß einen Schmerzensschrei aus, und der Drache flog davon, nicht ohne ihm mit den Klauen einige Haarsträhnen vom Kopf zu reißen.
Die Aurënfaie-Eskorte fand das offenbar höchst unterhaltsam.
»Jetzt ist er weg und baut sich ein goldenes Nest«, rief Vanos.
»Das war nur ein Kuss, um Euch zu Hause willkommen zu heißen«, rief ein anderer und klopfte ihm auf die Schulter.
»Brennt wie ein Schlangenbiss!« Als er sein Ohr berührte, fühlte Alec die beginnende Schwellung.
Vanos zog eine Glasphiole aus seiner Gürteltasche hervor und ließ sich etwas von der zähen Flüssigkeit auf den Finger tropfen.
»Keine Sorge, das Gift ist bei einem so kleinen Exemplar nicht viel schlimmer als das von einer Hornisse«, sagte er, als er seinen Finger ausstreckte. »Das ist Lissik. Es nimmt den Schmerz, und die Wunde heilt schneller.«
»Außerdem enthält es Farbpigmente, die die Zahnabdrücke dauerhaft färben, so wie eine Tätowierung«, setzte Seregil hinzu. »Solche Male sind sehr kostbar.«
Alec zögerte, während er über die Auswirkungen einer so auffallenden Kennzeichnung für jemanden in seinem Beruf nachdachte.
»Soll ich wirklich?«, fragte er Seregil auf
Weitere Kostenlose Bücher