Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Skalanisch.
»Es wäre grob unhöflich, wenn du dich weigerst.«
Alec nickte sacht.
»Also schön«, sagte Vanos, während er die Wunde mit Lissik betupfte. Das Zeug war ölig und roch bitter, aber es linderte den Schmerz auf der Stelle. »Das wird ein wirklich schönes Mal, wenn die Wunde verheilt ist.«
»Nicht, dass das nötig wäre«, meinte ein anderer, der Alec freundlich zublinzelte und ihm ein ähnliches Mal an seiner Daumenwurzel zeigte.
»Dein Ohr ist rot wie eine Tomate«, stellte Thero fest. »Sonderbar, dass die Kreatur plötzlich so eine Abneigung gegen dich entwickelt hat.«
»Eigentlich gilt der Biss eines Fingerlings als Zeichen der Gunst Auras«, sagte Nyal. »Wenn der Kleine überlebt, wird er Alec und all seine Nachfahren kennen.«
Nun zeigten noch andere Reiter ihre Ehrenmale an Händen und Nacken. Einer namens Syli lachte, als er stolz gleich drei Male an jeder Hand präsentierte. »Entweder hat Aura eine besondere Vorliebe für mich, oder ich schmecke einfach gut.«
»Mit Drachen bekannt, was?« Beka stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Das könnte von Nutzen sein.«
»Für den Drachen vielleicht«, bemerkte Seregil trocken.
An einer Station in der Mitte einer Gabelung, machten sie Rast. Das Gebäude war anders als alle anderen, die Alec bisher in Aurënen gesehen hätte. Der massive Turm maß mindestens achtzig Fuß im Durchmesser und lag wie ein Schwalbennest in die zerklüfteten Felsen eingebettet, die sich rund um ihn herum erhoben. Seine Spitze bildete ein konisches Dach aus dickem, schmutzigen Filz, den Eingang eine stabile Holzrampe, die zu einer Tür auf halber Höhe führte. Ein paar dunkeläugige Kinder saßen auf einer niedrigen Steinmauer vor dem Turm und beobachteten die näher kommenden Reiter. Andere waren dann und wann zu sehen, wie sie lachend schwarze Ziegen oder einander die Rampe hinauf jagten. Eine Frau erschien im Türrahmen und kam gleich darauf in Begleitung zweier Männer heraus.
»Dravnier?«, fragte Thero.
»Ja, nicht wahr?« sagte Alec, dem sie aus den Erzählungen Seregils vertraut schienen. Kleiner als die Faie und stabiler gebaut, hatten sie schwarze, mandelförmige Augen, O-Beine und dichtes schwarzes Haar, das sie mit Fett zurückgekämmt trugen. Ihre Schaffellkleidung war reich mit bunten Perlen, Tierzähnen der verschiedensten Art und auf gemalten Mustern verziert. »So weit im Osten hatte ich nicht damit gerechnet, ihnen zu begegnen.«
»Sie leben überall in den Ashek-Bergen«, erklärte Seregil. »Dieses Gebirge ist ihr Zuhause; niemand weiß besser als sie, wie man die Schneefälle überlebt. Diese Herberge steht hier schon seit Jahrhunderten und wird vermutlich bis in alle Ewigkeit hier sein und nur dann und wann ein neues Dach erhalten. Die Faie teilen sich diese Unterkunft mit den ortsansässigen Stämmen.«
Wenn Alec auch ihre Sprache nicht verstehen konnte, sagte doch das Lächeln genug, mit dem die Dravnier Riagil und seine Leute begrüßten. Rasch banden die Reiter ihre Pferde an der steinernen Mauer fest und marschierten die Rampe hinauf.
Jenseits der Tür befand sich ein einziger Raum mit einem Abzugsloch in der Mitte des Daches. Steinerne Stufen folgten der Rundung der Außenwand hinab zur unteren Etage, die ebenso als Herdstelle wie als Stall diente. Dort unten waren weitere Dravnier damit beschäftigt, nach dem Winter auszumisten. Eine der jüngeren Frauen winkte ihnen mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen zu.
»Dieser Brauch, von dem du erzählt hast, dass man mit ihren Töchtern schlafen muss …?«, fragte Thero nervös, während er die Nase angesichts des scharf säuerlichen Geruchs rümpfte, der aus der unteren Etage heraufstieg. Seregil grinste. »Das gilt nur an ihrem heimischen Herd. Hier werden sie das nicht erwarten, aber ich bin überzeugt, sie wären geschmeichelt, wenn du ihnen ein passendes Angebot unterbreiten würdest.«
Das Mädchen winkte wieder, und Thero zog sich rasch zurück. Für den Augenblick war sein Keuschheitsgelübde als Zauberer nicht weiter in Gefahr.
Für den Rest des Abends hatten sie es recht gemütlich, und das Heulen des Nachtwindes sorgte dafür, dass Alec und viele andere ganz besonders dankbar waren für die massiven Mauern und die schwere Tür des Turmes. An diesem Abend erfuhr er, dass die Dravnier diesen Teil des Jahres als das Ende der Hungerzeit bezeichneten.
Wenngleich das Zusammensein gemessen an aurënfaiischen Maßstäben auch recht steif war, war es doch
Weitere Kostenlose Bücher