Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
während er erneut über die Worte des Khtir’bai nachdachte. Du hast noch viel zu tun, Sohn des Korit. »Nein, das war etwas anderes. Nur ein Traum. Wie steht es mit dir, Talí? Irgendwelche weltbewegenden Offenbarungen?«
»So würde ich es nicht nennen. Ich träumte, ich wäre zusammen mit Thero auf Mardus’ Schiff, aber als er sich umdrehte, war er plötzlich du, und du hast geweint. Dann segelte das Schiff über einen Wasserfall in einen Tunnel, und das war’s. Ich schätze, ich gebe kein besonders gutes Orakel ab.«
Seregil lachte. »Und auch keinen besonders guten Navigator, so wie sich das anhört. Nun, es heißt, in Sarikali könne man auf alles eine Antwort finden. Vielleicht erfahren wir dort mehr. Wie geht es deinem Ohr?«
Alec betastete das geschwollene Ohr und zuckte schmerzgepeinigt zusammen. »Mein ganzer Hals tut weh. Ich hätte etwas Lissik mitnehmen sollen.«
»Keine Sorge, ich weiß etwas, was noch besser ist.« Seregil erhob sich, zog Alec auf die Beine und führte ihn zum Ufer des Tümpels. »Geh ins Wasser und lass es ein bisschen einweichen.«
»Nein. Ich habe dir doch gesagt …«
»Niemand wird dich sehen«, konterte Seregil augenzwinkernd. »Und jetzt ab mit dir, ehe ich dich hineinwerfe. Der Ritt, der vor uns liegt, wird auch so schon beschwerlich genug ausfallen, also solltest du für deine Heilung tun, was du kannst.«
»Und, hat irgendjemand etwas geträumt, letzte Nacht?«, fragte Klia, als sie sich wenige Stunden später um das Herdfeuer versammelten. »Ich konnte mich nach dem Aufwachen an nichts erinnern, aber so geht es mir immer.«
»Ich auch nicht«, sagte Beka deutlich enttäuscht.
Wie sich herausstellte, hatte keiner der Skalaner irgendetwas zu berichten.
»Vielleicht wirkt die Magie bei den Tír nicht«, überlegte Alec, der in Gedanken noch immer mit seinem seltsamen Traum beschäftigt war.
Als Thero endlich aus seinem Zelt hervorkam, musste er seine Theorie jedoch noch einmal überdenken. Der junge Zauberer sah um die Augen herum zu blutunterlaufen aus, um gut geschlafen zu haben.
»Schlecht geträumt?«, fragte Seregil.
Thero betrachtete einigermaßen bestürzt den Tümpel. »Ich habe geträumt, ich wäre ertrunken, während der Mond so hell geschienen hat, dass das Licht in meinen Augen schmerzte, obwohl ich unter Wasser war. Und die ganze Zeit über hörte ich jemanden singen: ›daheim, daheim, daheim‹.«
»Ihr seid ein Zauberer«, sagte Amali, die das Gespräch mit angehört hatte. »Eure Magie stammt aus Aurënen, insofern seid Ihr vielleicht zu Hause.«
»Ich danke Euch, Mylady«, erwiderte Thero. »Diese Interpretation ist weit positiver als die meine. Mir erschien das Erlebte eher wie ein Todestraum.«
»Aber ist das Wasser nicht auch das Symbol der Geburt?«, fragte sie, ehe sie davonschlenderte.
Jenseits von Vhadä’nakori wurde der Weg steiler, und die Skalaner mussten den größten Teil der Reise mit verbundenen Augen zurücklegen. Alec kaute verbissen auf einem Schnitz Ingwer herum und klammerte sich mit Händen und Beinen fest. Trotzdem hatte er manchmal das Gefühl, das Pferd würde einfach unter ihm davonmarschieren.
Nach einigen Meilen unter dergestalten Qualen schluckte er seinen Stolz herunter und ließ zu, dass ein Akhendi namens Tael sich vor ihm auf das Pferd schwang und die Zügel übernahm. Aus den Flüchen, die von allen Seiten an seine Ohren drangen, schloss er, dass er nicht der Einzige war, der aufgegeben hatte. Doch selbst mit dieser Unterstützung begannen sein Rücken und seine Beine bald wieder zu schmerzen, während er sich an seinen Führer klammerte.
Glücklicherweise hielt die Tortur nicht mehr lange an. Auf einem ebenen Stück kam die ganze Kolonne zum Stehen, und die verhassten Augenbinden wurden entfernt.
Alec blinzelte, ehe er einen anerkennenden Pfiff ausstieß.
Vor ihnen breitete sich eine grüne, von Wasserläufen durchzogene Landschaft aus, in der hier und da kleine Seen im Sonnenschein glitzerten.
»So grün, dass es in den Augen schmerzt«, murmelte Thero.
Sie stiegen weiter hinab, durchquerten bewaldete Gebirgsausläufer, in denen die blühenden Bäume so dicht standen, dass es ihnen schien, als würden sie durch Wolken reiten. Bald aber erreichten sie einen befestigten Pfad, der durch die üppigen Wälder der Fai’thast der Akhendi führte.
Alecs Fingerspitzen sehnten sich nach dem Gefühl einer gespannten Bogensehne. Streifenförmig fiel das Sonnenlicht durch die mächtigen Bäume und
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