Schattengold
hält inne und wirft einen Blick nach oben.
Die gnädige Frau stürzt die Treppe hinunter: »Sie ist es! – Sie ist es – meine Tochter!«
Von oben dringt Brandgeruch.
Aina!
Ich muss hoch, ihr helfen!
Aina, ich komme!
Rauch dringt aus dem Zimmer.
Aina liegt auf dem Boden.
Ich hebe sie auf und trage sie mit den Händen hinunter.
Ihre Kräfte reichen noch aus, um mich fest am Hals zu umarmen.
Hinter mir höre ich wieder: »Sie ist es! – Sie ist es!«
Dann die Stimme des Meisters: »Ruhe! Dein Geschrei nutzt uns jetzt gar nichts! – Such rasch die wertvollsten Stücke zusammen. Ich kümmere mich um Radamo, unseren Zeitläufer. Wir können durch die Stahltür zum Marionettenmuseum fliehen. Dort gibt es im Keller einen Zugang zu den unterirdischen Gängen. Ich kenne mich da aus. – Dieser Kroll ist uns dicht auf den Fersen. Wir sollten die Stadt verlassen, ehe es zu spät ist.«
Wie ich es vermutet hatte …
Des Meisters dunkle Vergangenheit und sein verbrecherisches Tun in der Gegenwart …
Ainas Herkunft …
Aina …
Lass uns in die Ferne fliehen, lass uns ein neues Leben in deiner Heimat beginnen!
*
Das Haus brannte völlig nieder. Die Feuerwehr konnte nur noch verhindern, dass das Feuer auf die benachbarten Häuser übergriff. Tagelang schwelte der Brand.
Die Astronomische Uhr in der Marienkirche zeigte immer mehr Macken und drohte, nun endgültig ihren Geist aufzugeben. Ein Ratsherr regte an, das alte Innenleben einfach auszuschlachten und durch einen einfachen Elektromotor-Mechanismus zu ersetzen.
Man fand jedoch keinen kundigen Uhrmacher in der Stadt, der mit dem alten System zurechtgekommen wäre.
Von der Familie Ampoinimera hörte man seitdem nichts mehr. Der gesamte Goldschmuck und die wertvollsten Uhren waren ebenfalls verschwunden. Sein Ziel, den sagenumwobenen religiösen Goldschatz zu finden, hatte Meister Adrian offenbar nicht erreicht.
Vielleicht gab es ihn überhaupt nicht.
Irgendwann bemerkte die gehörlose Kassiererin in dem Marionettenmuseum, dass sich sowohl die Replik der Astronomischen Uhr als auch das Modell der Zeitmaschine nicht mehr an Ort und Stelle befanden.
Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Diese Touristen haben heutzutage auch vor nichts mehr Respekt. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, müssen sie mitgehen lassen.
Ebenso fehlte seit diesem Tag jede Spur von Aina und vom Uhrmachergesellen Raik. Das Boot lag nicht mehr im Winterlager.
Die Zofe Ria meldete sich am nächsten Tag bei der Polizei, um ihre Beobachtungen in dem sonderbaren Haus protokollieren zu lassen. Sie hatte am fraglichen Abend die Eröffnungsvorstellung der diesjährigen Lübecker Filmtage besucht und fühlte sich schwer enttäuscht. Um Touristen anzulocken, hatte man das bisher kulturell anspruchsvolle Ereignis in eine Glamour-Gala mit rotem Teppich verwandelt. Jetzt standen nicht mehr die Filme, sondern fragwürdige Leinwandhelden im Mittelpunkt. Ria missfiel das.
Ihr Tagebuch konnte sie retten, weil es ihre Gewohnheit war, das Oktavheft bei den Kinobesuchen mitzunehmen und sich über die Filmhandlung Notizen zu machen.
Ria konnte der Polizei gegenüber keine weiterführenden Angaben über den Brand bei ihren Herren machen. Später zog sie bei Raiks Mutter ein. Zwei einsame Frauen fanden zusammen, um sich gegenseitig zu trösten.
Inspektor Kroll veranlasste, dass die Ruine polizeilich abgesperrt wurde. Verwertbare Spuren fand er dort nicht. Allerdings entdeckte er die Tür in der Brandmauer, die das Anwesen mit dem Marionettentheater verband. Er vermutete daraufhin, dass das Mädchen mit den Mandelaugen sterben musste, weil es durch Zufall ein Geheimnis gelüftet hatte.
Aber welches?
Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass die Familie Ampoinimera augenscheinlich nicht aus Südamerika stammte. Im Gegenteil, Hopfinger fand heraus, dass der Name nahezu identisch war mit dem eines madagassischen Königsgeschlechts.
Und Kroll konnte seinen anonymen Gesprächspartner im St.-Annen-Museum mit hoher Sicherheit als den Goldschmied identifizieren. Nachfragen bei seiner Bank ergaben, dass der Meister recht vermögend war. Also müssten ihn emotionale, religiöse oder ideologische Motive zu seinen Taten angetrieben haben. Aber welche könnten das konkret gewesen sein?
Für den Inspektor liefen jedenfalls alle Indizien darauf hinaus, dass Adrian Ampoinimera der Haupttäter war. Nur fehlten ihm stichhaltige Beweise. Das Einzige, was ihn wirklich weitergebracht hätte, wäre der
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