Schattengott
beissend.
«Sie nicht?», erwiderte Sabina.
Zum ersten Mal fiel ihm keine Antwort mehr ein. Die Bemerkung war
aus seiner Sicht wohl so bodenlos, dass das Gespräch beendet war.
«Besser, Sie verlassen jetzt das Haus», sagte er und stand auf, «und
fragen Sie mich nicht noch mal wegen der Mädchen. Ich habe damit nichts zu
tun.»
Sabina liess das Haus hinter sich und erhöhte, wie von einem bösen
Geist verfolgt, das Tempo ihrer Schritte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Die fast schwarzen Augen des Pfarrers, diese Augen voll brodelnden Zorns,
bohrten sich in ihr Inneres. Sie war froh, als sie wieder beim Auto war.
«Und, was Neues?», fragte Heini, der gerade aus Reischen von
Familie Jakobs kam.
«Eine ganze Menge», sagte Sabina. «Ich hab mit dem Pfarrer
gesprochen, der Katharina Jakobs, Iris Grenz und Maria Melchior konfirmiert
hat. Ein ganz harter Knochen. Wusstest du, dass die Frauen an nächtlichen
Naturgottesdiensten teilgenommen haben?»
«Schau an», sagte Heini, «auf sehr explizite Nachfrage hin hat Frau
Jakobs heute auch so etwas erwähnt. Sie wisse nichts Genaues, aber es gibt wohl
Gerüchte.»
«Hast du vorher schon mal was davon gehört?»
«Nein, früher gab es auf den Felsen von Carschenna oberhalb der Burg
Hohen Rätien hin und wieder Hippie-Feste, aber das ist mindestens dreissig
Jahre her.»
«Warst du damals wohl auch dabei?»
«Man war nicht immer zweiundsechzig», sagte Heini und lächelte
vieldeutig. Sabina schmunzelte.
«Mal im Ernst», sagte sie, «wir haben doch die Hintergründe der drei
überprüft. Das sind halt spirituell orientierte junge Frauen, die sich für
naturreligiöse Rituale begeistern und vielleicht ein bisschen Musik miteinander
machen. Oder glaubst du wirklich, dass die da Orgien feiern?»
«Nein, ich glaube auch, dass das harmlose Geschichten sind», sagte
Heini, «und weil sie vermutlich im kleinen Rahmen ablaufen, dichtet das Volk
halt was dazu.»
«Lass uns trotzdem dranbleiben», sagte Sabina.
«Ja, natürlich», sagte Heini. «Ich hab mittlerweile mit allen
Facebook-Freunden von Katharina Jakobs und Iris Grenz Kontakt aufgenommen. Bin
mir sicher, dass wir da irgendwo einen Hinweis auf diese Feiern finden.»
«Sehr gut», sagte Sabina, «auf dich ist Verlass.»
* * *
Eine Woche intensiver Ermittlungen ging dem Ende entgegen. Zur
abschliessenden Besprechung am Freitagnachmittag konnte Urs Freisler bereits
mit ersten Ergebnissen der Befragungen der Bewohner von Isola aufwarten.
Tatsächlich erinnerten sich zwei Männer an ein auffälliges Fahrzeug,
das sie in den Wochen vor Ostern in der Nähe des Dorfs gesehen hatten. Es war
ein schwarzer Minibus oder ein SUV , da waren sich die Zeugen nicht einig.
Einen Fahrer hatten sie nicht beobachtet, beide aber hatten das Auto zweimal
aus rund zweihundert Metern Abstand in der Nähe der Cardinello-Schlucht parken
sehen.
«Reicht das, um eine Rasterfahndung nach den Besitzern von schwarzen
Minibussen und SUV s
zu starten?», fragte Sabina.
«Ich würde im Schams damit beginnen und den Kreis dann auf ganz
Graubünden und eventuell auch die Nachbarkantone ausweiten», sagte Malfazi.
«Wir haben drei vermisste Frauen, wir sind unter Zugzwang.»
«Ausserdem brauchen wir Amtshilfe der Kollegen aus Italien. Der
Täter kann auch von dort kommen», sagte Heini.
«Da bin ich mal gespannt, wie eifrig die Hilfe sein wird», sagte Malfazi,
«aber du hast recht. – Sonst noch etwas?», fragte er, sich zum Schamser
Kollegen Freisler wendend.
«Dass Maria Melchior oft in der Kirche war, scheint zu stimmen. Und
auch, dass sie durchaus beliebt war bei den Dorfbewohnern. Viele wirkten
ernsthaft berührt. Einen Liebhaber hatte sie wohl eher nicht.»
«Gute Arbeit, danke, Urs», sagte Malfazi. «Was haben wir sonst
noch?»
Heini meldete sich zu Wort. «Ich habe die Facebook-Seiten der Frauen
überprüft. Maria Melchior ist nicht registriert, aber Katharina Jakobs und Iris
Grenz haben dort öffentliche Profile. Das bedeutet: Jeder kann alles lesen, was
die Mädchen posten – so kann sich ein Täter natürlich sehr gut über
Interessen und Gewohnheiten informieren. Ich hab auch etwas gefunden, was auf
eine Ritualfeier hindeutet. Das war allerdings schon am 20. Dezember des
letzten Jahres, einen Tag vor der Wintersonnwende. Es ist nur jeweils ein Satz.
Katharina Jakobs schreibt: ‹Treffen wir uns dann morgen auf den Felsen?› Und
Iris Grenz antwortet: ‹Ja, ich bring auch Maria mit.›»
«Weisst du Genaueres
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