Schattengott
harmlose
Touristen, ein Anruf aber weckte Sabinas Interesse.
«Das war die Chefin des Hotels Alte Post in Zillis», sagte sie, als
Heini in ihr Büro kam. «Da sind in den letzten Monaten gleich dreimal drei zusammen
reisende Männer abgestiegen. Motorradfahrer. Ich fahr hin und überprüfe das.»
«Ich fahr mit», sagte Heini.
«Aber du wolltest doch nicht mehr ins Feld?»
«Doch, ich lass dich erst mal nicht mehr allein.»
Sabina lächelte.
Die Wirtin der Alten Post war eine betagte Frau mit leichtem
Buckel. Sie bat die Polizisten herein und versorgte sie mit Kaffee.
«Nun erzählen Sie mal von den drei Motorradfahrern, wann waren die
denn genau da, und wie haben sie ausgesehen?»
«Ach, ausgesehen», sagte die Wirtin, «ich seh doch fast nix mehr.
Aber einer war ein Westschweizer, das hat man gehört. Und der hat auch immer
gleich bezahlt, wenn sie kamen. Müssen früh wieder weg, hat er gesagt. Und das
war dann auch so. Die kamen am Abend, und am Morgen waren sie wieder weg.»
«Haben Sie einen Namen oder eine Kopie vom Ausweis?», fragte Heini.
«Nein.» Die alte Frau schüttelte den Kopf. «Die haben doch immer
gleich bezahlt, nicht mal was gegessen.»
«Und in der Nacht?», fragte Sabina. «Haben Sie da was gehört?»
«In der Nacht schlafe ich», sagte die Wirtin.
Sabina lachte. «Dürfen wir mal sehen, wann die Männer da waren,
haben Sie das aufgeschrieben?»
«Nein, aber das war am Tag vor der Auffahrt, irgendwann nicht lang
danach und jetzt bei der Mondfinsternis.»
«War das zweite Mal vielleicht am Tag vor Fronleichnam?»
«Ja, das kann sein», sagte die Wirtin.
«Und Sie können die Männer wirklich nicht beschreiben?»
«Nein. Nur die tiefe Stimme und den Westschweizer Akzent von dem,
der bezahlt hat.»
«Und sonst hat die drei niemand gesehen? Eine Kellnerin? Ein Gast?»
«Hm, also ich glaube nicht. Die sind ja auch immer gleich auf ihr
Zimmer.»
«Vielen Dank, Frau Grischott», sagte Sabina, und auch Heini
verabschiedete sich.
«Bringt uns das weiter?», fragte Sabina, als sie zurück aufs
Polizeikommando fuhren.
«Es legt zumindest den Verdacht nahe, dass drei Männer aus der
Mithrasgruppe da übernachtet haben und dann nachts hoch zu den Minen sind. Wir
werden auf jeden Fall noch mal die Gäste und Nachbarn befragen.»
«So machen wir’s», sagte Sabina und schaltete hoch. «Ich kümmer mich
aber erst noch mal um Redolfis Bruder.»
13
Auf ihre Nachfrage bei der Communauté de Taizé bekam Sabina
schon nach zwei Stunden eine Antwort. Ja, Bruder Dominique, der mit
bürgerlichem Namen Redolfi heisse, sei von seiner Lateinamerikareise zurück.
Sie sei herzlich willkommen, ihn zu treffen. Sabina meldete sich fürs
Wochenende in dem Kloster an.
Über Lausanne und Dijon fuhr sie mit dem Zug nach Mâcon. Von
dort aus nahm sie den Bus und war nach neun langen Reisestunden in dem kleinen
Dorf Taizé in der Bourgogne. Neben rund zweihundert Einwohnern hatte sich hier
die Gemeinschaft von Taizé niedergelassen, ein ökumenischer Männerorden mit
rund hundert Brüdern. Zu diesen gesellten sich wöchentlich oft Tausende
vornehmlich jugendlicher Pilger, die in Zelten übernachteten. Schon im Bus war
Sabina auf junge Menschen aller Nationen getroffen, die fröhlich ihrem Ziel
entgegenfieberten. Sie sangen und spielten Gitarre, lachten, assen, tranken.
Sabina fühlte sich an ihre Jugendtage am Lagerfeuer erinnert.
Pascal Redolfi, jetzt Frère Dominique, war, wie sein Bruder Jean,
ein stiller Charakter. Seine Statur war insgesamt breiter und stabiler als die
des hageren Älteren, und er vermittelte mehr Lebensfreude. Seine Augen
strahlten Wärme aus.
Als Sabina ihm erzählte, was Jean Redolfi verbrochen hatte, weinte
der Mönch und betete stumm für seinen älteren Bruder.
Als er sich einigermassen gefasst hatte, erzählte er aus ihrer
gemeinsamen Kindheit.
Die Mutter war Schweizerin gewesen und kam aus dem Schams. Sie hatte
recht jung einen Franzosen geheiratet, und die Familie war nach Frankreich
gezogen. Der Vater war bei einem Unfall, den er selbst verursacht hatte,
gestorben, als sie noch Kinder gewesen waren. Sie hatten bei dem Unfall mit im
Wagen gesessen. Vor allem Jean sei schwer traumatisiert gewesen, weil er das
Ganze bei vollem Bewusstsein miterlebt hatte. Vier weitere Personen waren bei
dem Unfall ums Leben gekommen. Die Mutter geriet durch den Unfall in eine
schwere Psychose und hatte sich nie mehr davon erholt.
«Sie litt unter furchtbaren Schuldgefühlen für das,
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