Schattengott
geboren worden war. Im Namen dieses Gottes hatten sie eine Gemeinde
aus sieben Männern hinter sich versammelt, die nur einen Auftrag hatte: die
Religion zu strafen, die den Lichtgott Mithras einst getötet hatte. Sieben
Jahre sollte das Sühnen dauern. Die erste Stufe im Schatten der
Viamala-Schlucht war vollbracht. Ihr Mitbruder Jean war ins ewige Licht
eingegangen. Und sie konnten vorerst zurückkehren in ihr bürgerliches Leben.
14
Es war gar nicht so leicht gewesen, seine Telefonnummer
herauszufinden. Die Yogalehrerin hatte ihr schliesslich geholfen. Zu Sabinas
Überraschung hatte er sofort zugesagt. Ohne taktische Spielchen. Er wartete am
Parkplatz über dem Wald, direkt am Ortseingang von Glas. Von hier aus führte
der Weg über die Westflanke des Piz Beverin in etwa drei Stunden hinauf zum
Gipfel. An manchen Stellen konnte es um diese Jahreszeit noch vereist sein. Sie
hatten sich vorher darauf verständigt, das Wagnis einzugehen.
«Salü, Sabina», sagte er und gab ihr drei Küsschen auf die Wangen.
Sie grüsste mit einem «Salü, Daniel» und berührte ihn beim
Küsschentausch dezent am Arm. Sie stellten ihre Wanderstöcke ein, verstauten
Steigeisen und Pickel im Rucksack und gingen los. Über Gras und Büsche stiegen
sie hinauf bis zum Fuss der Krähenköpfe. Der Weg wurde immer schmaler, während
die Grashänge zum Carnusatal hin steil abfielen.
«Pass auf!», rief er ihr zu. «Wenn du hier abrutschst, bist du weg.»
Sabina wählte ihre Schritte mit Bedacht. Als sie etwas unterhalb am Hang
vier Steinböcke sah, warf sie ihm ein «Sssst» zu. Er zückte sein Handy und
machte ein Bild.
Der Weg schlängelte sich auf dem Grat entlang und wurde zusehends
steiniger. Nach den Krähenköpfen kam der heikelste Teil. Durch die Westflanke
ging es über Fels und Schiefergeröll hinauf zur Beverinlücke. Der Weg war
teilweise noch von Schneefeldern bedeckt, sie legten die Steigeisen an und
gingen mit äusserster Vorsicht.
Nach etwa drei Stunden hatten sie die Beverinlücke erreicht. Der
Anstieg zum flach abfallenden Gipfelrücken war kein Problem mehr. Um die
Mittagszeit standen sie auf dem Gipfel und genossen die silbergraue
Schiefermondlandschaft, in der vereinzelt weisse Schneetupfer leuchteten. Je
weiter der Blick in die Ferne schweifte, desto mehr wurde Sabina bewusst, wie
sehr sie die Bündner Berge liebte. Nachdem Daniel sie im Gipfelbuch eingetragen
hatte, gab er ihr einen Kuss auf die Wange.
Die Terrasse im Gasthaus Beverin war prallvoll. Viele
Einheimische und Touristen nutzten den sonnigen Sonntag, um an der frischen
Luft zu Mittag zu essen. Willi, der Besitzer, war am ganzen Berg bekannt. Auch
wenn er ursprünglich aus dem südlichsten Zipfel Badens kam, war er für alle ein
Einheimischer. Seine Küche war hervorragend, die Leute kamen zuhauf aus dem Tal
zu ihm heraufgefahren.
Sabina bestellte einen Haussalat. Daniel liess sich eine gebratene
Hirschwurst mit Rösti schmecken. Dazu tranken beide einen Apfelmost aus der
Region. Es tat Sabina gut, ein wenig Abstand zu den Verbrechen zu haben.
Am Abend setzte sie sich vor ihr Haus, genoss die letzten Tupfer
der Sonne und meinte, seit Langem wieder einmal ein Gefühl von Verliebtheit zu
spüren. Hatte es sie tatsächlich erwischt? Und wollte sie ihre wiedergewonnene
Freiheit wirklich noch einmal gefährden? Daniel hatte auf dem Gipfel wie sie
gefühlt, das hatte sie gespürt.
Sie tippte eine Nachricht in ihr Handy und drückte die Sendetaste.
Als zwei Minuten später ein Bild von vier Steinböcken zurückkam, wusste sie,
dass es richtig gewesen war, in die Heimat ihrer Mutter zu ziehen. Sie blickte
auf die leuchtenden Gipfel des Val Schons und liess sich vom betörenden
Farbenspiel des Himmels verzaubern. Sie fühlte so etwas wie Glück in ihrem
Herzen. Sie war angekommen in Graubünden.
Dank
Ich möchte mich sehr herzlich für die vielseitige Unterstützung
bedanken, die ich vor und während der Arbeit an «Schattengott» erfahren habe:
Bei Julia für das schonungslose Erstlektorat, ihre guten Anregungen
und dafür, dass sie mir stets den Rücken freigehalten hat. Bei Simon
Beeli-Tester für die Bereitstellung seiner Hütte auf dem Heinzenberg. Bei
Anselmo Gadola für die Zusendung vieler Artikel über das Schams, die
Mithrashöhle und die Felsen von Carschenna. Bei meinen Testlesern Enno de Haan,
Dolores Rupa, Katharina Lareida und Jürgen Paulus für ihre wertvollen
Feedbacks. Bei Stephan Kaufmann und Denise Dillier für ihre Unterstützung.
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