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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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ist sehr lobenswert, dass du uns das melden
willst. Was war das denn? Ein Diebstahl?»
    Johannes schüttelte den Kopf. «Ein Mord», sagte er fest.
    Luginbühl nickte bedächtig, während er im Geiste alle Möglichkeiten
erwog, mit einer solchen Behauptung aus dem Mund eines Kindes umzugehen. Sein
Bauchgefühl täuschte ihn selten: Der Junge erlaubte sich keinen schlechten
Scherz mit ihm. Er meinte ernst, was er sagte; er war wirklich sicher, einen
Mord gesehen zu haben.
    Möglicherweise war es auch so gewesen. Kinder waren tatsächlich
manchmal Zeugen von Straftaten; er hätte Dutzende solcher Fälle aufzählen
können. Deshalb wäre es fahrlässig gewesen, eine solche Aussage nicht ernst zu
nehmen.
    «Ein Mord ist ein sehr schlimmes Verbrechen», sagte er und sah
Johannes in die Augen. «Erzähl mir bitte in allen Einzelheiten, was du gesehen
hast. Darf ich das Gespräch aufnehmen? Ich lösche das Band wieder, sobald ich
das Protokoll geschrieben habe. Denn jetzt möchte ich nicht so gerne
mitschreiben, sondern dir lieber ganz genau zuhören.»
    Der Junge gab mit einem Nicken sein Einverständnis. Luginbühl
schaltete das Band an, und Johannes begann zu erzählen:
    «Ich war gestern Abend auf der Burgruine Weissenau. Dort habe ich
den Mord gesehen.»
    «Um wie viel Uhr war das?», fragte Luginbühl.
    Johannes dachte nach.
    «Zwischen halb neun und neun Uhr abends», sagte er schliesslich.
    «Was hast du denn so spät dort gemacht?»
    Eva Bellwald schaltete sich ein. «Wir wohnen nicht so weit von der
Burgruine entfernt. Johannes ist fasziniert von Rittergeschichten, also auch
von der Burg. Er geht oft dorthin.»
    «Auch nach Einbruch der Dunkelheit?», fragte Luginbühl. «Mit oder
ohne Erlaubnis?»
    « Mit meiner Erlaubnis», betonte die
Mutter. «Jedenfalls tagsüber. Dass er auch in der Dunkelheit dorthin geht,
davon hatte ich keine Ahnung. Vermutlich hätte ich ihn gebeten, es nicht zu tun
– jedenfalls nicht alleine. Wie leicht kann man in der Dunkelheit stürzen und
liegt dann vielleicht bis zum Morgen hilflos da, bis man gefunden wird.» Sie
seufzte. «Aber Kinder sind nun einmal abenteuerlustig, nicht wahr? Als wir in
Johannes’ Alter waren, haben unsere Eltern auch nicht alles erfahren, was wir
gemacht haben.»
    Luginbühl schmunzelte. Eva Bellwald hatte ins Schwarze getroffen.
«Mein Vater hätte mir sicher jeden Tag den Hosenboden versohlt, wenn er geahnt
hätte, was ich alles für Unfug getrieben habe», gab er zu. Dann wandte er sich
wieder an den Jungen. «War deine Mutter zu Hause, als du losgegangen bist? Oder
dein Vater?»
    «Ich bin geschieden», antwortete Eva Bellwald an Johannes’ Stelle.
«Donnerstags muss ich bis neun Uhr abends arbeiten.»
    Luginbühl nickte dem Jungen aufmunternd zu. «Dann erzähl mal,
Johannes, was du gestern Abend bei der Burgruine erlebt hast.»
    * * *
    Johannes bog in den Fussweg ein, der von der Forststrasse zur
Burgruine abzweigte, und knipste seine Taschenlampe an, um nicht über einen der
grossen Steine zu stolpern, die verstreut auf dem Pfad lagen. Es war der Abend
des 4. Januar 2001 und schon stockfinster. Nebel war aufgezogen, die
Temperatur lag um den Gefrierpunkt. Erste Schneeflocken mischten sich in den
Nieselregen.
    Das Gemäuer der mittelalterlichen Festung ragte im Dunkeln fast
bedrohlich empor. Gerade hatte Johannes den Torbogen des Eingangs erreicht, als
er ein unerwartetes Geräusch hörte: den Motor eines heranbrausenden Autos. Er
drehte sich um und sah einen Wagen genau dort anhalten, wo der Fussweg zur Burg
einmündete. Das war eigenartig, denn nur der Forstdienst, die Feuerwehr oder
die Polizei durfte diese Strasse mit ihren Fahrzeugen benutzen.
    Fünf Gestalten stiegen aus. Johannes sah mehrere Lichter tanzen,
wahrscheinlich von Handlampen.
    Was wollten sie hier um diese Zeit?
    Johannes war schon mehrmals bei Dunkelheit bei der Burgruine
gewesen, und er war stolz darauf, dass er nie Angst gehabt hatte. Aber nun
bekam er eine Gänsehaut. Noch bei keinem seiner nächtlichen Streifzüge zur Burg
war er auch nur einer Menschenseele begegnet. Auf keinen Fall, entschied er,
wollte er von diesen Leuten gesehen werden.
    Während er sich vom Eingang entfernte, schirmte er den dünnen
Lichtstrahl seiner Taschenlampe mit der Hand ab. Als er die Nische in der
Burgmauer gefunden hatte, knipste er sie aus, noch bevor er richtig in sein
Versteck hineingeschlüpft und in die Hocke gegangen war. Eigentlich wusste er,
dass er hier nicht gesehen werden konnte.

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