SchattenGrab
Für sie würde er, wie schon beschlossen, eine Pflegekraft organisieren, die sie rund um die Uhr betreute. Kam Verena nicht nach Hannover zurück, würde er schweren Herzens das Haus verkaufen und sie auszahlen.
Er hoffte, dass die Beamten bald drüben mit ihren Untersuchungen fertig sein würden, damit er mit dem Umbau beginnen konnte. Es war auch eine Flucht aus dem eigenen Haus, in dem zu viele Erinnerungen wohnten, die er nicht länger haben wollte.
Der Keller
Ingo Freund liebte diese alten Jugendstilvillen. Er freute sich, dass er endlich einmal in so einem alten Gebäude ermitteln konnte. Besonders interessant waren für ihn schon immer die Dachböden und Keller solcher Häuser gewesen. Da fanden sich Dinge aus mehreren Generationen, zum Teil wirklich Historisches und manche wirklich wertvolle Antiquität, aber auch Ramsch, der, weil er alt war, ebenfalls einen besonderen Charme hatte. Schon die Treppe zum Keller war im Hause der Familie Görlitz etwas Besonderes, da sie augenscheinlich niemals renoviert worden war. Thorsten Büthe hatte ihm erzählt, dass das Haus in der Gretchenstraße schon seit Generationen im Familienbesitz gewesen war.
Die Holzstiege, die er jetzt hinunterging, war in der Mitte bereits ziemlich ausgetreten. An der Wand hingen rostige Metallgegenstände, unter anderem ein Hufeisen, das einem Kaltblüter gehört haben musste, und eine alte Fuchsfalle. Sogar Großvaters Reitstiefel hingen dort. Sie waren staubig und faltig vom langen Gebrauch, sahen aber so aus, als ob sie die Zeit unbeschadet überstanden hatten. Das Leder war in Ordnung.
Der Boden des Kellers bestand aus roten Ziegeln oder gestampften Lehmböden. Gewölbeartig war die Decke angelegt worden, die ihm selbst ziemlich niedrig erschien. In der Ecke unter der Treppe befand sich ein riesengroßes Regenrückhaltebecken, das aber wohl mittlerweile undicht geworden war. Auf jeden Fall stand kein Wasser darin, obwohl es vor Kurzem nochheftig geregnet hatte. Er vermutete, dass die Dachrinnen dorthinein abgeleitet wurden und nicht in die öffentliche Kanalisation. Die Größe des Beckens betrug nach seinen Messungen drei mal vier Meter mit einer Höhe von ein Meter fünfzig. Achtzehn Kubikmeter Wasser fasste das Becken also. Damit konnte man schon etwas anfangen, fand Ingo. Er fragte sich allerdings auch, ob der Keller dadurch, wenn das Wasser hier stand, auch feuchter wurde. Vielleicht hatte man sich deswegen in jüngerer Zeit entschlossen, alles einfach abfließen zu lassen. Von dem Becken aus floss es wohl in das unterirdische Brunnensystem, in das man über einen Zugang in der Mitte des Raums gelangte, denn dort war eine große Eisenklappe, die hinunterführte. Ingo hob sie an und leuchtete mit seiner Taschenlampe ins Schwarze. Gemauerte Wände und eine Rinne, in der etwas Wasser stand. Irgendwo plätscherte es leicht und er meinte, etwas entfernt das Quieken von Ratten gehört zu haben. Aber vielleicht hatte er sich auch verhört. Hier würden sie später auch noch hinuntermüssen.
Ingo schloss die Klappe und schnupperte in die Luft. Es roch trotzdem leicht modrig hier unten, wenn auch nicht schimmelig oder muffig. Dafür waren möglicherweise das Brunnensystem und die alten Sandsteinwände verantwortlich, in denen das Wasser gespeichert wurde.
Aber die alten, undichten Fenster sorgten dafür, dass trotzdem genug Belüftung vorhanden war. Sonst hätte es hier unten massive Schimmelprobleme gegeben, vermutete Ingo. Er ging in den ersten Raum, der wohl früher für die Lagerung von Marmeladen und Eingemachtem gedient hatte. Auf den Regalböden standen immer noch zum Teil gefüllte Gläser miteingelegten Gurken oder Kirschen, die in ihrer Flüssigkeit schon braun geworden waren. Weiter hinten fand er dunkelrote Marmelade. Sie war mittig eingetrocknet. Es war nicht mehr zu sagen, aus welcher Frucht sie einmal hergestellt worden war. Nach dem Kohlenkeller kam er in den Kartoffelkeller. Die Holzkästen waren noch vorhanden, wenn auch ungefüllt. Es roch nach Erde. Ingo fühlte sich in seine Kindheit versetzt. Auch Gerüche waren Erinnerung. Er selbst war früher für seine Großmutter in den Keller gegangen, um Kartoffeln hochzuholen. Der Duft von Holz und Erde erinnerte ihn an damals. Heutzutage kauften die Menschen ihre Kartoffeln frisch, dachte er bei sich, und so gingen den nachfolgenden Generationen auch Gerüche verloren, genauso wie Lieder oder Worte, die nicht mehr gebraucht wurden.
In der Waschküche fand er moderne
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