SchattenGrab
Kopf.
„Und mir tut weh, dass du es nicht tust. Du liebst sie nicht, weil sie anders ist. Weil sie nicht deinen Vorstellungen entspricht, weil sie … behindert ist.“ Sie zögerte einen Moment, bevor sie das Wort aussprach.
„Wir haben so lange auf ein Kind gewartet. Denk doch mal zurück. Weißt du nicht, wie groß unsere Freude war, als wir Sophie endlich im Arm halten konnten? Auch ich war völlig überwältigt.“
„Ja, bis du begriffen hast, dass mit ihr etwas nicht stimmt, dass sie anders ist als andere Kinder.“ Verenas Stimme bekam einen bitteren Unterton. „Ich habe alles dafür getan, sie zu bekommen, glaub mir, und ich liebe sie mehr als mich selbst.“
„Wahrscheinlich auch mehr als mich“, sagte er resigniert.
„Ganz bestimmt! Warum bist du nicht einfach verschwunden? An ihrer Stelle meine ich. Du interessierst dich doch sowieso nur für dich selbst. Mich hast du,seitdem sie auf der Welt ist, eh nicht mehr wahrgenommen.“
„Weil du mich nicht mehr wolltest“, sagte er traurig, „du hattest nur noch Augen für Sophie. Ich war abgemeldet. Der Mohr hatte – wie man so schön sagt – seine Schuldigkeit getan. Ich hatte dich endlich zur Mutter gemacht und damit war mein Part in unserer Ehe für dich erledigt. Vom Geldverdienen einmal abgesehen.“ Er seufzte und nahm seine Bettdecke. „Ich glaube, es ist gut, wenn wir hier im Haus erst mal getrennte Wege gehen. Jeder von uns sollte sich darüber klar werden, wie unser Leben weitergehen kann, mit oder ohne Sophie, miteinander oder ohneeinander. So kann ich nicht weitermachen.“
„Ja, hau doch wieder ab, du Schwächling“, schrie sie ihn an, „wie immer, wenn’s brenzlig wird. Lass mich ruhig wieder allein. Aber ist auch egal. Ich habe sowieso immer alles selbst und ohne deine Hilfe hingekriegt. Jawohl, alles meine ich. Bis auf deine beschissene Kohle, die du verdienst, taugst du zu überhaupt nichts. Also sieh zu, dass du Land gewinnst und geh mir aus den Augen!“ Wütend schmiss sie ihm sein Kissen hinterher.
Etwas zersprang. Aber nicht durch das Kissen, sondern in ihm. Das war der Moment, in dem Justus nicht wusste, ob er je wieder in dieses Bett zurückkehren würde, selbst wenn Sophie noch lebte.
Toni
Es war ein Überraschungsbesuch. Toni hoffte, dass ihre Schwester Verena halbwegs ansprechbar war. Als sie sie das letzte Mal besucht hatte, hatte sie gewirkt, als sei sie in Trance. Sogar gelacht hatte sie, dann wieder geweint und später gar nichts mehr gesagt, sondern nur noch vor sich hingestarrt.
Toni ging die Treppen hinauf und klingelte an der alten Jugendstiltür. Erst tat sich nichts, dann hörte sie Schritte. Verena, leicht übernächtigt, öffnete.
„Toni!“, rief sie erstaunt.
„Störe ich?“
„Nein, alles im Arsch. Da stört mich gar nichts mehr. Kind weg, Mann weg. Vielleicht bin ich auch bald weg. Wegsein scheint etwas Tolles zu sein.“
„Jetzt lass mich erst mal rein. Dann reden wir“, sagte Toni.
„Ach so, ja klar“, stammelte Verena und gab den Weg in die Diele frei.
„Wann kommt denn Justus? Haben wir ein bisschen Zeit zu zweit, so unter Schwestern?“
„Keine Ahnung, ob der kommt oder nicht und wenn, ist’s auch wurscht, weil er jetzt ,getrennte Wege’ gehen will. Erst wird mir mein Kind genommen, dann lässt mich mein Mann im Stich.“ Verena ließ sich aufs Sofa fallen. Hier musste sie vor Kurzem noch gelegen haben, denn Kissen und Decke waren völlig zerknautscht.
„Der spinnt wohl“, Toni tippte sich an die Stirn, „dich in dieser Situation auch noch allein zu lassen. Hab ich dich beim Schlafen gestört?“
„Ist egal, ich schlafe eh nicht. Das ist was für glückliche Menschen. Ich grübele mehr mit geschlossenen Augen. Wer braucht mich schon noch? Was soll ich überhaupt noch hier?“
„Jetzt beruhig’ dich erst mal. Ich glaube, ich bin im richtigen Moment gekommen“, sagte Toni und setzte sich neben ihre Schwester. „Du bist ja völlig fertig.“
Verena begann zu weinen. Das Weinen ging in Schluchzen über. Es schien, als entlud sich mit einem Mal die Spannung der letzten Tage und Wochen.
„Sch…, sch…, ist ja gut“, sagte Toni, während Verenaihre Schulter nass heulte. Sie streichelte der Älteren den Kopf und wusste, dass gar nichts gut war.
„Von dir … hab ich auch seit zwei Wochen … nichts gehört“, beschwerte sich Verena mit vorwurfsvollem Unterton.
„Entschuldige“, versuchte sich Toni zu rechtfertigen, „es ist nicht so einfach. Ich wollte
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