Schattengreifer - Die Zeitenfestung
rühren.
Hilflosigkeit.
Hilflos in seinem eigenen Körper.
Während das Licht in den Klauen des Schattengreifers weiter und weiter anschwoll.
Doch dann ging plötzlich eine Woge durch Simons Körper. Mit einem Mal löste sich der Druck in ihm. Die Lähmung verschwand, und die Stiche in seinem Kopf hörten so abrupt auf, dass es Simon schwindelig wurde.
Er sah erneut zu dem Schattengreifer. Das Licht in dessen Händen war erloschen. Mit überraschtem Blick schaute er auf Simon herab. Mit einem Blick, als wäre der Magier selbst gelähmt.
Simon verstand nicht. Bis er das Blut sah, das sich auf dem Mantel des Schattengreifers bildete. Auf der Brust wurde ein schwarzer Fleck sichtbar, der sich schnell ausbreitete.
Verwundert blickte sich der Magier um. Hinter ihm stand der ägyptische Priester, der sich, stark geschwächt, kaum auf den Beinen halten konnte. Und nun entdeckte Simon auch den langen Zeremonienstab, der aus dem Rücken des Schattengreifers herausschaute. Die scharfe Spitze des Stabs war unter demMantel des Magiers kaum auszumachen. Simon musste schon genau hinsehen, um die Schwellung zu erkennen – dort, wo sich gerade das Blut ausbreitete.
Der Priester sank erschöpft in die Knie. Er streckte einen Arm nach Neferti aus, doch er erreichte sie nicht.
»Rette sie«, hauchte er Simon zu. »Sie ist ein besonderer Mensch. Ein wunderbarer Mensch. Sie … Ich konnte ihr … Sag ihr … Die Katzengöttin hat ihr … Sie …«
Der Mann kippte vornüber und blieb der Länge nach auf dem Boden liegen.
Der Schattengreifer wich einen Schritt zurück. Er versuchte, den Zeremonienstab zu greifen, mit dem der Priester zugestochen hatte. Er versuchte, ihn zu packen. Herauszuziehen.
Simon nutzte diesen Moment, in dem der Schattengreifer machtlos war, um mit Neferti zu fliehen. Gerade als er sie in die Höhe heben wollte, schlug Neferti die Augen auf. »Wo bin ich? Was …« Schnell wurde ihr der Ernst der Lage bewusst. Sie blickte sich um, sah den sich windenden Magier und auch den Priester, der am Boden lag.
»Oh nein!«, schrie Neferti. Und ungeachtet der Gefahr, in der sie sich mit Simon noch immer befand, sprang sie auf den Priester zu und drehte ihn sacht zu sich um, sodass sie ihm in die Augen schauen konnte.
»Nein! Bitte nicht.«
Der Priester öffnete die Augen. »Neferti«, keuchte er mit letzter Kraft. »Gib auf dich acht. Und denk daran, was die Katzengöttin dir für ein Geschenk … Vorhin …«
Die Augen fielen ihm zu, und dieses Mal waren sich Simon und Neferti sicher, dass es zum letzten Mal war.
Neferti drückte den toten Priester an sich.
»Wir müssen fliehen«, unterbrach Simon. »Komm!«
Neferti blickte zu dem Schattengreifer hinauf, dem es endlich gelungen war, den Zeremonienstab aus seinem Rücken zu ziehen. Er warf den Stab in eine Ecke und schrie auf. Vor Wut. Vor Schmerz.
Er wandte sich Simon und Neferti zu. Er zögerte. Kurz.
Dann warf er sich seinen schwarzen Mantel über und duckte sich in eine Ecke.
»Was tut er?«, rief Neferti verwundert, doch Simon konnte ihr keine Antwort geben. Er bemerkte nur, wie sich auf dem Rücken des Magiers, unter dem schwarzen Stoff seines Mantels, allmählich etwas abzeichnete. Etwas wuchs dort hervor. Simon konnte dünne Spitzen erkennen, die größer und größer wurden, bis sie die Form von Vogelfedern annahmen.
»Er verwandelt sich!«, rief Simon. »Er wird zu …«
Der Magier tauchte unter seinem Mantel wieder hervor. Sein ohnehin schon krähenartiges Gesicht war nun übersät mit Vogelfedern. Sein Körper hatte die Form einer Krähe angenommen, und statt seiner Arme kamen zwei riesige Flügel zum Vorschein.
Simon hastete zu dem Zeremonienstab, bereit, ihn noch einmal in den Körper des Magiers zu rammen. Doch der Schattengreifer kam ihm zuvor. Er schwang sich in die Luft, stieß einen krächzenden Schrei aus, und noch während er sich in die Höhe schwang, zog sich sein Körper in die Länge. Die Kreatur wuchs in Sekundenschnelle. Und endlich stieß sich der Magier von der Erde ab. Mit gezückten Krallen drehte er als übergroße Krähe eine weite Schleife in der Halle, bevor er im Sturzflug aufSimon und Neferti zukam. Ein erneutes, gellendes Krächzen ließ den Raum erbeben, dann löste sich die Krähengestalt des Schattengreifers in nichts auf, kurz bevor er Simon und Neferti erreicht hatte.
Christian stand auf den Zehenspitzen und schlug mit dem Stein gegen die Decke seines Gefängnisses. Seine Versuche, das untere Ende der
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