Schattengreifer - Die Zeitenfestung
kennt nur euch und …«
»Schweig!« Der Schattengreifer brüllte Simon dieses letzte Wort entgegen. »Ich opfere mich doch ebenfalls auf. Ich gebe mich selbst auf für meinen großen Plan. Für den Frieden in der Welt und für …«
»Glaubt ihr etwa selbst daran?« Simon wiederholte die Worte des Magiers beinahe in demselben wütenden Ton wie kurz zuvor der Schattengreifer sie ausgesprochen hatte. »Ihr opfert Euch nicht auf. Ihr setzt nur Euren Willen durch. Euer Plan ist es nicht, die Menschheit zu retten. Euer Plan dient nur Euch und … und …«
Simon stutzte. Etwas an dem Gesichtsausdruck des Magiers verriet ihm, dass er mit seinen Vermutungen ins Schwarze getroffen hatte. »Ihr denkt nur an Euch«, wiederholte er nachdenklich. Und plötzlich wurde ihm etwas klar. Heiß und kalt durchlief es seinen Körper. Nun hatte er alles verstanden. Alles!Und er war sich seiner Sache so sicher, dass er noch ein Stück weiter auf den Schattengreifer zuging.
Der wich überrascht einen Schritt zurück. Anscheinend fürchtete er Simons nächsten Satz.
Neferti und der Priester standen wie versteinert auf ihren Plätzen. Auch sie spürten, dass sich gerade etwas Besonderes vor ihren Augen ereignete.
Simon baute sich vor dem Schattengreifer auf. Und zum ersten Mal in seinem Leben verstand er, dass Worte wie Waffen sein konnten. Seinen nächsten Satz wählte er ganz genau. Und er betonte jedes Wort so, dass es schneidend wie ein Messer klang: »Ihr nehmt Rache. Ihr rettet die Menschheit nicht. Ihr bestraft sie! Ist es nicht so?«
Der Schattengreifer verzog das Gesicht. Ekel sprach aus seinen Augen. Er wich noch einen Schritt vor Simon zurück. Dann hielt er sich plötzlich die Hände auf die Ohren. »Schweig!«, schrie er erneut. Doch dieses Mal kam es nicht bedrohlich aus seinen schmalen Lippen hervor. Dieses Mal klang es bittend. Flehend. Er wandte sich von Simon ab.
Doch Simon ließ nicht nach: »Euer ganzer Plan ist ein Rachefeldzug. Ihr sucht nach Vergeltung. Ihr wollt die Menschen bestrafen. Ist es das? Habe ich recht? Ihr habt mir nicht alles aus Eurem Leben gezeigt, damals, als Ihr mich am Strand auf eine Zeitreise mitgenommen habt. Irgendetwas ist in Eurem Leben geschehen. Etwas, das Euch Angst eingeflößt hat. Eine Angst, die kein Mensch Euch nehmen konnte. Und nun seid Ihr dabei, Rache zu nehmen. Ihr wollt die Menschheit nicht retten. Ihr wollt sie zum Schweigen bringen. Ihr wollt sie daran hindern zu handeln. Ihr …«
»Nun schweig doch endlich!« Jammernd, beinahe wimmernd, zog sich der Schattengreifer mehr und mehr zurück.
Simon streckte die Hand nach ihm aus und berührte ihn sanft am Ärmel. »Menschen haben Euch wehgetan. Vielleicht, als Ihr selbst noch ein Kind gewesen seid. Und nun wollt Ihr verhindern, dass so etwas noch einmal geschehen kann. Niemand soll mehr so leiden, wie Ihr einmal gelitten habt. Oder täusche ich mich? Aber Ihr bietet der Welt keinen Schutz mit Eurem Plan. Ihr nehmt die Welt gefangen!«
Simon trat noch näher an den Schattengreifer heran, der sich noch immer von ihm abwandte. Doch bevor der Junge noch etwas sagen konnte, drehte sich der Magier mit einem Ruck herum und blickte Simon aus finstersten Augen an. »Du sollst schweigen, habe ich gesagt!« Von der schwachen Person, die der Magier einen Augenblick lang gewesen war, konnte Simon nichts mehr erkennen. Binnen Sekunden hatte sich der Schattengreifer innerlich gesammelt, und nun stand er wieder mit derselben Entschlusskraft vor Simon, die der Junge von ihm gewohnt war.
»Du weißt nichts! Nichts weißt du! Alles, was du sagst, sind Lügen.« Mit jedem Wort nahm seine Wut weiter zu.
Simon begann, sich langsam von dem Magier zu entfernen.
»Mein Plan ist ehrenvoll«, raunte der Schattengreifer. »Die Menschheit in Frieden. Und nur du stehst mir im Weg!«
Mit einem letzten Blick in Simons Gesicht zog der Magier seine Klauen in die Höhe, und Simon konnte sehen, wie sich bereits grünliche Feuerbälle darin bildeten.
Neferti schrie vor Entsetzen auf.Dass diese Flüge der Krähenschwärme nichts Gutes verheißen konnten, das war allen bewusst. Allerdings kannten nur drei von all den Menschen die wirkliche Ursache für das Verhalten dieser unzähligen Tiere.
Tom blickte noch einmal auf Jessica. In einem solchen Zustand hatte er sie bisher noch nicht erlebt. Und, wenn er genau darüber nachdachte, hatte er noch nie einen erwachsenen Menschen in solcher Angst gesehen. Er musste etwas tun.
Kurz dachte er darüber nach,
Weitere Kostenlose Bücher