Schattengreifer - Die Zeitenfestung
erwidern, doch Neferti kam ihm zuvor: »Holt die anderen her. Wir müssen alle zusammen hier sein.«
Simon fasste nach ihrer Hand. »Ich hatte gehofft, du kommst mit uns. Ich hätte dir gern meine Mutter vorgestellt und dir unser Haus gezeigt.«
Für einen Augenblick wurde Neferti ruhiger. »Tut mir leid. Aber das, was ich vorbereite, eilt. Alles eilt. Wenn mein Plan gelingt, haben wir bald sehr viel Zeit füreinander. Und dann holen wir alles nach. Einverstanden?«
Sie sah ihn von unten herauf an, mit ihren tiefbraunen Augen. Und Simon seufzte nur. Wie hätte er diesem Blick standhalten sollen? Nein, er konnte ihr nichts abschlagen.
Er drehte sich um und rannte vom Schiff. »Okay, ich beeil mich. In weniger als einer Stunde bin ich
wieder hier, mit Tom und Nin-Si«, rief er über das Deck. Und im Geist fügte er hinzu: »Wenn es ihnen gut geht und sie bei
mir zu Hause sind.«
Er blutete.
Dick und schwarz quoll es aus seiner Brust. Die Wunde klaffte so weit
zwischen seinen Rippen, dass er seine Klaue hätte hineinstecken können.
Und mit jedem Tropfen, der aus ihm herausfloss,
spürte er auch seine Lebenskraft schwinden.
Der Zeremonienstab des ägyptischen Priesters hatte ihn gefährlicher
verwundet, als der Magier es geahnt hatte.
Erst hier, in seinem Reich, als er seine ursprüngliche Gestalt wieder
angenommen hatte, war ihm das ganze Ausmaß des Kampfes bewusst geworden.
Nun lag er auf dem Boden seiner Halle und
presste seine Hände fest gegen die Wunde. Er konnte spüren, wie es ihm heiß durch die Finger rann.
Er war kurz davor
aufzugeben. Von seinem Plan abzulassen.
Doch allein der Gedanke daran ließ ihn innerlich erbeben.
Nein – er glaubte
noch immer an sich und sein Vorhaben.
Wichtig war es, die Jugendlichen zu stoppen, die sicher schon den nächsten Schlag
gegen ihn vorbereiteten.
Er musste gewappnet sein.
In dieser Verfassung jedoch konnte er sich den Jugendlichen
keinesfalls entgegenstellen.
Sein Blick fiel auf die riesige Krähe, die an seiner Seite saß und ihn
sorgenvoll aus ihren roten Augen anblickte.
»Du«, raunte der Magier mit kraftloser Stimme. »Du musst mir helfen.«
Er
setzte sich auf, auch wenn er das Gefühl hatte, es würde ihn in Stücke reißen. Dann ließ er die Krähe näher an sich
herankommen, packte ihren Kopf und sah ihr fest in die Augen.
Tief in die Augen.
Der Vogel ließ es mit sich
geschehen. Es brauchte nur wenige Augenblicke, da war der Magier mit seinem Zauber tief in das Tier eingedrungen.
»Nimm
meine Kraft in dir auf«, befahl der Magier. »Atme meine Fähigkeiten ein. Lass meine Macht durch deine Adern fließen. Du
wirst an meiner Stelle den Kampf führen. Mit meinem Wissen. Mit meinem Zauber. Mit meiner Kraft. Und durch meine
Führung.«
Er stockte. Seine Kräfte schwanden wieder. Er gönnte sich einen Augenblick der Ruhe, dann fuhr er fort: »In
meinem Sinne wirst du kämpfen«, sprach er weiter auf die Krähe ein. »Für meine Ziele eintreten. Handle so, wie ich
handeln würde.«
Dann legte er ihr die Klaue auf den Schädel und sagte: »Und jetzt geh. Geh und erweise dich als würdig!
Ich werde dich führen. Im Kampf wirst du meine Anwesenheit spüren. Ich halte dich im Griff.«
Die Krähe schien zu
wachsen. Ihr Gefieder plusterte sich auf, der Rücken drückte sich durch, und der ohnehin schon riesige Vogel rappelte
sich auf, sodass er den auf der Erde sitzenden Magier weit überragte.
Seine Augen funkelten wild.
Der
Magier ließ sich mit einem lauten Stöhnen niedersacken. Wie vorher presste er seine Hände auf die Wunde.
Die Krähe sah
ihn lange an. Schließlich hob sie den Kopf in die Höhe, gerade so, als denke sie nach, dann beugte sie sich vor und
beging ihre erste magische Tat. Sie berührte mit der Schnabelspitze die offene Wunde des Magiers, und sie konnte spüren,
wie die Haut des Magiers heiß wurde, wie sie beinahe zu glühen begann. Bis die Blutung beinahe verebbte.
Der
totbringende Blutfluss war fast gestoppt. Nur noch wenige Tropfen quollen aus der Wunde heraus.
Die Krähe ließ von dem
Magier ab, besah sich ihr Werk und erhob sich zufrieden, bevor sie langsam die Halle verließ.
Der Magier selbst bekam
von der Heilung durch die Krähe nichts mehr mit. Er war bereits ohnmächtig in sich zusammengesunken.
Seine Mutter zog ihn in ihre Arme und drückte ihn so fest an sich, als wollte sie ihn nie wieder gehen lassen. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich bin bald verrückt geworden vor Angst.«
»Es ist alles in
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