Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Sie bauten sich lediglich vor ihm auf. Sie stellten sich nebeneinander zwischen ihn und Neferti. Gleichzeitig kam die Krähe durch die riesige Halle geflogen.Auch sie näherte sich erst Simon, dann beschrieb sie einen Bogen und landete auf den Rücken der Säbelzahntiger. Je einen Fuß auf dem Rücken eines Tigers, stellte sie sich aufrecht hin und breitete die Flügel aus.
Von beiden Seiten näherten sich plötzlich die Wände aus Krähen. Die Vögel, die zuvor noch starr und stumm an den Seiten der Halle geruht hatten, bewegten sich nun auf die beiden Säbelzahntiger zu. Wieder klackten sie laut mit ihren Schnäbeln. Das Echo hallte durch den ganzen Raum.
Wie ein lebendes Tor schlossen sich die Wände aus Vögeln vor Simon und versperrten ihm den Weg und die Sicht auf Neferti, die beiden Tiger und die Krähe.
Kaum hatte sich diese Wand geschlossen, da verstummte das Geräusch der Schnäbel, und erdrückende Stille breitete sich in der Halle aus.
»Lasst mich zu ihr!« Simon sprach gegen die Wand aus Schnäbeln und Flügeln. »Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Aber lasst mich zu ihr.«
Keine einzige Krähe rührte sich. Wie eine Wand aus Stein hielten diese unzähligen Krähen einander fest. Einzig ihre Augen glühten angespannt hervor.
»Simon, komm zurück!«, bat Nin-Si.
Er wandte sich zu seinen Freunden um. Durch die nebelhaften Schattengestalten konnte er sie verschwommen sehen. Noch immer drückten sie sich Halt suchend gegen die Wand der Halle. Doch in diesem Moment waren sie nicht bedroht. Die Schatten zwischen ihnen hatten ihre ganze Aufmerksamkeit auf Simon gerichtet und verfolgten scheinbar interessiert, was dort vor sich ging.
Simon drehte sich wieder zu den Krähen um. »Wovor habt ihr Angst?«, schrie er, an die riesige Krähe gerichtet, die ihn sicherlich hinter der Wand aus Tieren hören konnte. Doch er meinte nicht den Vogel selbst. Er wandte sich mit seinen Worten direkt an ihren Meister, den Schattengreifer.
»Was fürchtet Ihr noch? Ihr habt doch gewonnen. Ihr habt uns dort, wo Ihr uns haben wollt: in Eurer Gewalt. Und nun schlagt Ihr mir meinen letzten Wunsch ab?«
Er erhielt keine Antwort. Die riesige Krähe und die übrigen Vögel verharrten reglos dicht vor seinem Gesicht.
Stille beherrschte weiter den Raum. Simons Wunsch jedoch, Neferti zu erreichen, wuchs weiter an.
»Lasst mich zu ihr!«, brüllte Simon erneut. »Was soll ich schon gegen Euch ausrichten? Ihr seid ja nicht einmal hier!« Als er diese Worte gesprochen hatte, überlief es Simon eiskalt. War das vielleicht der Grund, warum er keine Antwort erhielt? Konnte es sein, dass der Schattengreifer ihn gar nicht mehr hörte, weil er seiner Erschöpfung erlegen war? War das der Grund, warum diese Stille herrschte und die Schatten wie versteinert in der Halle standen?
Plötzlich erwachte in Simon ein neuer Wunsch. Er wollte ihn sehen. Den Magier. Simon musste wissen, wie es um den Schattengreifer stand. Er musste zu ihm. Sich Gewissheit verschaffen!
Nur wie?
Simon ließ seinen Blick über diese Wand schweifen. Wo sollte er hin? Wo könnte er den Magier finden?
Er erinnerte sich an seinen allerersten Besuch in dieser Zeitenfestung. Damals, als der Schattengreifer ebenfalls entkräftetgewesen war. Damals, als Simon ihn hatte retten können. Mit der Erde aus diesen Höhlen.
Simon schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern. Der Raum, den er damals betreten hatte, glich dieser Halle. Doch er glich auch dem riesigen Saal, in dem sie dem Schattengreifer später alle gemeinsam begegnet waren.
Simon konzentrierte sich. Seine Gedanken flogen zurück … Er sah sich erneut auf dem Seelensammler stehen. In der Kajüte. An der Seite des Schattengreifers, der neben ihm auf dem Holztisch lag und um sein Überleben kämpfte. Damals hatten sie sich beide sehr nahe gefühlt. Näher, als Simon recht gewesen war. Er hatte dem Magier helfen können. Er hatte sich für ihn in diese Welt hier unten begeben, wo er die Kiste mit der Erde gefunden hatte. Heimaterde für den Schattengreifer. Simon hatte ihm das Leben gerettet. Er …
Plötzlich spürte er, dass etwas um ihn herum vor sich ging. Simon öffnete die Augen. Die Wand aus Krähen öffnete sich. Dieser lebendige Vorhang teilte sich und gab den Blick wieder frei. Auf die Krähe, auf die beiden Tiger und … und auf Neferti.
Simon hielt das Gefühl in sich wach, das er gerade in seinen Erinnerungen heraufbeschworen hatte – das Gefühl der Vertrautheit, die er einst mit
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