Schattengrund
schüttelte erstaunlich energisch den Kopf. »Nichts da. Ich bleibe hier.«
Mit einem hilflosen Schulterzucken ließ Leon Nico mit dem alten Drachen alleine. Sie hörte irgendwo im Haus eine Tür knallen, dann kamen schlurfende Schritte über den Flur. Zacharias erschien, die Haare vom Schlaf zerstrubbelt, einen verwaschenen Frotteebademantel über dem Schlafanzug. Dazu trug er seine Stiefel; die Schnürsenkel hingen aus den Ösen.
»Was ist hier los?«
Nico musterte ihn mit Abscheu. Ihr entging nicht, dass auch Zita über das Auftauchen ihres Sohnes nicht sehr erfreut war.
»Schmeißt mich aus dem Bett und sagt, ihr wollt mit mir reden. Was soll das?«
Er ging direkt auf Nico zu, die nicht mehr schnell genug ausweichen konnte und unsanft von ihm zur Seite geschubst wurde.
»Wo ist der Bengel? Dem wird ich was erzählen.«
»Er sucht Trixi. Und den Pfarrer«, sagte Nico.
Sie hoffte inständig, Leon würde gleich zurückkommen. Sie wollte nicht allein bleiben mit diesen beiden Menschen, in deren Anwesenheit sie kaum noch Luft bekam. Zach lief in die Großküche, Flaschen klirrten, eine Kühlschranktür wurde auf- und wieder zugemacht, und zu ihrem größten Erstaunen kam er wieder mit einer Flasche – Milch.
»Ach ja?« Er beäugte Nico misstrauisch. »Soll ich dir mal was sagen? Du schiebst jetzt deinen hübschen kleinen Arsch zur Tür raus und machst, dass du hier nie wieder auftauchst. Verstanden?«
Er setzte die Flasche an und trank sie in einem Zug halb leer.
»Ich warte auf Leon. Wir haben mit Ihnen zu reden. Mit Ihnen allen.«
»Und worüber? Etwa wieder über meine Tochter?«
»Ja«, sagte Nico tapfer. Sie hatte Angst. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie Zita alles gesagt hatte. Ein falsches Wort von der alten Frau, und Zach würde explodieren.
Aber Zita schwieg.
»Meine Tochter geht nur mich etwas an. Nur mich, verstanden? Mach, dass du rauskommst!«
Die letzten Worte brüllte er ihr ins Gesicht. Zita schüttelte den Kopf und hörte gar nicht mehr auf damit.
»Leon wird gleich wieder …«
»Ich scheiß auf Leon und die ganze Mischpoke! Du hast mir gar nichts zu sagen, gar nichts! Das ist Hausfriedensbruch! Wenn ich will, knall ich dich ab!«
»So wie Trixi das vorhatte?«
Seine Augen funkelten gefährlich. »Ja«, sagte er gedehnt. »Schade, dass sie nichts mehr trifft. Aber ich krieg dich noch. Dich krieg ich. Wer in meinem Haus nicht spurt …«
Er war so eine lächerliche Figur. Der abgeranzte Bademantel, die Milchflasche, das unrasierte Gesicht. Ein Wicht. Einer, der glaubte, er wäre der Größte. In Nico platzte der letzte Knoten. Sie vergaß, was sie Leon versprochen hatte. Sie fühlte nur noch, wie eine gleißende Stichflamme von Wut in ihr aufflackerte.
»So wie Fili?« Sie fühlte nur noch Verachtung für diesen Mann, der jedes Gefühl dafür verloren hatte, wie jämmerlich er war. »Musste die auch spuren?«
Mit einem Knall stellte er die Milchflasche vor Zita ab, die erschrocken zusammenzuckte.
»Was willst du damit sagen, du Schlampe? Was?«
»Sie waren es. Sie haben Fili missbraucht. Ihre eigene Tochter.«
Stille.
Dann kam von Zita ein würgendes Geräusch, aber Nico achtete nicht darauf. Ihre Wut verpuffte und Angst kroch wie Gift in ihre Adern. Sie hätte sich die Zunge abbeißen können. Wie blöd musste man sein, ausgerechnet in diesem Moment die Wahrheit zu sagen? Allein mit einer alten Frau, die sie hasste, und dem Mann, der sie um ein Haar umgebracht hätte, um seine Untat zu vertuschen?
»Lüge«, krächzte Zach, weiß vor Wut. »Das ist eine Lüge!«
»Fili hat es aufgeschrieben.«
»Ha! Aufgeschrieben! Sie konnte ja noch nicht mal lesen! Wo denn aufgeschrieben? In ihrem Malheft vielleicht?«
»Oben im Stollen, bevor sie gestorben ist. Dort steht es an der Wand. Ein Kind, ein Bett, ein Mann. Und darüber das Wort Papa. Vier Buchstaben. Die lernt man, glaube ich, recht früh.«
Zach wandte sich ab. Er schwankte.
»Das ist eine Lüge. Ich hab ihr nie wehgetan. Nie! Sie war doch mein kleines Mädchen!«
»Das ihr oben im Zimmer eingeschlossen habt, wenn zu viel zu tun war?«
Er fuhr herum. »Das werft ihr mir vor? Habt ihr eigentlich jemals in eurem Leben gearbeitet? Richtig gearbeitet?«
Zita schnaubte verächtlich. Ihr Blick streifte erst Nico, dann Zach, aber sie sagte nichts. Sie hielt sich einfach raus. So, wie sie das wohl schon immer gemacht hatte. Nico war fassungslos.
»Kiana hat es geahnt, als sie Filis erste Zeichnung gesehen hat«, sagte
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