Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
Vom Netzwerk:
Blick aus ihren bernsteinfarbenen Augen.
    »Was willst du denn da oben? Jagen?«
    Vorsichtig kletterte Nico die Stufen hoch, bis sie die schmale Luke erreichte. Eine Art Falltür war in sie eingelassen, die man nur nach oben öffnen konnte. Sie war zu Nicos Erstaunen nicht verriegelt. Nico legte die Handflächen dagegen, drückte – und konnte die Tür ohne Probleme einen Spalt anheben.
    Durch die fast blinden Scheiben der Gauben fiel mattes Licht in einen schmalen, spitzgiebeligen Raum. Mehrere Umzugskartons standen an der Stirnseite. Dazu erblickte Nico ein Sammelsurium aus einem alten Sprungfederrahmen, zerbrochenen Stühlen, einer schiefen Kommode, der die linken Füße fehlten, einem Christbaumständer, staubgrauen Gardinenballen und mehreren zerschlissenen dunkelroten Samtkissen.
    Nico stieß die Tür nach hinten, wo sie hochkant stehenblieb, und kletterte auf den Dachboden. Minx rannte mit einem Affenzahn durch den ganzen Raum und hatte wohl schon Witterung aufgenommen. Das aufrechte Stehen war schwierig und eigentlich nur in der Mitte unter dem Giebel möglich. Nico zog den Kopf ein und wanderte von einem Fundstück zum nächsten. Der Federrahmen sagte ihr nichts. Die Gardinen auch nicht. Aber die Kissen … gehörten die nicht mal zu einem Sofa, das unten im Wohnzimmer neben dem Kamin gestanden hatte? Sie ging in die Knie und klopfte auf eines. Eine gewaltige Staubwolke puffte ins Gegenlicht. Hustend sprang sie auf, stieß sich den Kopf an einem Dachbalken und versuchte, das Fenster zu öffnen. Staub und kleine Steinkörnchen rieselten dabei herunter. Endlich hatte sie es geschafft und lehnte sich weit hinaus, um Luft zu holen.
    Die eisige Kälte traf sie wie ein Schlag. Die bleiche Sonne war hinter dichten Wolken verschwunden, die sich gerade über den Berg wälzten und Schnee mit sich führten. Schnee, Schnee und noch mal Schnee. Sie spürte, wie ihre Ohren anfingen abzufrieren. Bevor sie zurück unter die Gaube treten konnte, vibrierte ihr Handy.
    Eine SMS . Sieh an. Offenbar hatte sie hier oben Empfang. Die Freude verpuffte, als sie sah, von wem die Nachricht kam: von ihrer Mutter.
    –Melde dich!
    Sie wog das Handy in der Hand, als ob das Gewicht ihr Auskunft darüber geben könnte, was zu tun wäre. Anrufen? Lieber nicht. Schließlich schrieb sie:
    –Ich habe Mist gebaut.
    Die Antwort ließ keine zehn Sekunden auf sich warten.
    –Was ist los? Wo bist du?
    –In Siebenlehen.
    Das »Schweigen« dauerte eine Ewigkeit. Nach endlosen dreißig Sekunden, in denen Nico überlegte, ob sie sich lieber gleich aus dem Fenster stürzen sollte, summte die Antwort über den Äther. Nico wagte kaum, sie zu lesen.
    –Komm SOFORT zurück.
    –Das geht nicht. Wir sind eingeschneit.
    –Bist du wahnsinnig? Du bist doch nicht etwa in Kianas Haus?
    –Doch. Alles ist okay. Mach dir keine Sorgen. Nur der Empfang ist schlecht, und ich muss aufs Dach steigen, wenn ich eine SMS schicken will.
    – NICO !!!!
    Nicos Finger waren schon ganz taub. Sie konnte kaum noch tippen. Trotzdem wollte sie ihrer Mutter noch eine Nachricht schicken.
    – Mamutsch, alle sind TOTAL nett hier. Ich habe Minx vorm Verhungern gerettet und auch schon Feuer gemacht. Ich will das Haus gar nicht. Aber ich wollte es wenigstens mal sehen, bevor ich es nicht wollte.
    Nico brach ab. Die nächste Nachricht ihrer Mutter kam ihr in die Quere.
    – Der Taxistand in Altenbrunn hat Schneeketten. Nico, bei allem, was dir und mir heilig ist: Ich schwöre, wir werden die Sache vergessen, wenn du sofort zurückkommst.
    – Ich kann nicht! Die Straßen sind gesperrt und für heute Nachmittag wurde noch mal Neuschnee angesagt. Ich komme zurück, sobald ich kann. Versprochen! Und jetzt muss ich erst mal wieder ins Warme. Ich melde mich. Alles ist gut. Grüß Papa von mir.
    Sie trat vom Fenster zurück. Der letzte Antennenbalken auf ihrem Handy verschwand. Dafür bemerkte Nico etwas anderes: Der Akku war fast leer. Offenbar hatte das Handy auf der Suche nach einer Zelle, in die es sich einloggen konnte, viel zu viel Energie verbraucht. Und obwohl es so kalt war, dass ihr der Atem gefror, wurde Nico siedend heiß bewusst: Sie hatte ihr Aufladekabel nicht dabei. Fluchend schloss sie das Fenster und schaltete das Gerät ab. Sie musste mit dem Rest Akkulaufzeit haushalten.
    Minx merkte, dass die Aufmerksamkeit des Frauchens nicht mehr auf den kleinen schwarzen Kasten gerichtet war. Sie stieß ein aufforderndes Miauen aus, dem unschwer zu entnehmen war, was es zu bedeuten

Weitere Kostenlose Bücher