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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Nachmittag …«
    »Mama! Hörst du mich?« Nico warf einen verzweifelten Blick auf das Display. Ein Balken. »Ich ruf dich an, okay? Ich ruf dich an!«
    Aus, die Verbindung war beendet. Ratlos steckte Nico ihr Handy weg. Sie saß in der Patsche. Aber so was von.

Neun
    Der Mann war groß, hatte breite Schultern, struppige Haare und Hände wie Baggerschaufeln. Er war vielleicht Mitte, Ende zwanzig und versuchte ein treuherziges Lächeln, aber irgendwie erinnerte er Nico dabei an Haggard, die Küchenschabe aus Men in black . Er trug einen blauen Overall über dem dicken Strickpullover und gefütterte Gummistiefel. Das Merkwürdigste an ihm war sein Montagegürtel. An ihm hingen Zangen, Ketten, Bolzenschneider, ein Bund Fahrradspeichen, ein Hammer, Gurte und sogar mehrere Schlösser. Eine Werkstatt um die Hüfte sozusagen. Entweder wollte er alles sofort griffbereit haben, oder er fürchtete sich davor, in Situationen zu geraten, in denen der Einsatz eines Notfallhammers unumgänglich notwendig war. Nicos Blick wurde von einem uralten, halb verrosteten Vorhängeschloss in Herzform angezogen, in dem sogar noch der Schlüssel steckte.
    Als der Mann näher kam, machte er Geräusche wie ein wandelnder Werkzeugkasten. Er wischte sich die Hände an einem verschmierten Lappen ab und begrüßte Leon mit einem Grunzen, das mit viel Liebe als »Tach auch« durchgehen könnte.
    »Also«, sagte Leon. »Das ist Nico. Nico, das ist Maik.«
    »Mmmh.«
    Maik war ein Riese, der sogar Leon um mindestens einen Kopf überragte. Sein Blick irrlichterte durch den Raum und vermied direkten Kontakt zu den beiden Anwesenden.
    »Nico braucht Holz zum Anfeuern und Kohlen für Schattengrund. Kannst du was liefern?«
    »Weiß nich. Liefern nach Schattengrund? Weiß ich nich.«
    Nico unterdrückte einen ärgerlichen Seufzer. Maik ging, begleitet vom melodischen Klingen zweier Mehrkantschlüssel, die an seiner Rechten baumelten, zu einem Haufen ausrangierter Kanister und begann, die Verschlüsse zu prüfen. Hinter seinem Rücken zog Leon die Schultern hoch und machte eine entschuldigende Geste.
    »Weiß nicht ist keine Antwort. Wir brauchen zwei Sack Holz und einen halben Zentner Briketts.«
    »Könnt euch nehmen. Da hinten. Liefern is nich.«
    Benzinkanisterverschlüsse schienen eine hochwichtige Angelegenheit zu sein. Maik wendete seinen Kunden einfach den Rücken zu und drehte sie auf, drehte sie zu, äugte in die Kanister hinein und schien hochkonzentriert zu arbeiten.
    Leon holte aus einer dunklen Ecke einen Schubwagen und warf Holz auf die Ladefläche. Die Briketts lagen, in Gebinden gestapelt, weiter hinten an der Wand.
    »Lass mal«, sagte Nico. »Vielen Dank. Ich muss nach Hause.«
    »Ohne Heizung? Da hältst du es aber nicht lange aus.«
    Die Räder der Karre quietschten erbärmlich, als er sie zu den Briketts schob. Nico folgte ihm und warf noch einen Blick über die Schulter zurück auf Maik, der gerade einen leeren Kanister schüttelte, als ob er den letzten Tropfen aus ihm herausholen wollte.
    »Ich meine richtig nach Hause«, sagte sie leise. »Mein Vater ist krank.«
    »Das tut mir leid. Wirklich.« Er nahm ein Gebinde und wuchtete es zu dem Holz. »Aber du musst bleiben. Wir sind eingeschneit.«
    »Dann laufe ich eben.«
    »Das wirst du nicht tun. Du kennst die Gegend nicht. Und selbst wenn du Altenbrunn erreichst, kommst du nicht weiter. Die sind auch von der Außenwelt abgeschnitten.«
    Wie sich das anhörte. Als ob eine Lawine im Hochgebirge losgegangen wäre.
    »Dann … Dann nehme ich eben einen Hubschrauber.«
    »Nico, du musst lernen, dass man als Mensch nicht allmächtig ist. Glaubst du nicht, dass die wenigen Hubschrauber, die es hier gibt, Besseres und Wichtigeres zu tun haben? Du wirst dich gedulden müssen. Jeder wird Verständnis dafür haben. Auch dein Vater.«
    Wenn er wüsste, dass ich hier bin, dachte Nico. Das Schlimme am Lügen ist, dass man so verdammt wenig Vorteile dadurch hat und die meiste Zeit damit beschäftigt ist zu verhindern, dass man auffliegt. Sie nickte widerwillig.
    »Du musst das Haus winterfest machen. Ich glaube nicht, dass es das bisher gewesen ist. Heute Nacht sollen die Temperaturen auf bis zu minus zwanzig Grad fallen. Es kommt noch mehr Schnee. Sechzig bis neunzig Zentimeter. Alle Räumfahrzeuge sind jetzt schon im Einsatz. Was du kennengelernt hast, war nur ein Vorgeschmack. Wenn du Pech hast, steckst du zwei Wochen hier fest.«
    »Aber ich muss weg!«
    Nicos Gedanken überschlugen sich.

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