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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Wenn sie jetzt aufbrach, könnte sie am Abend zurück sein und niemand würde etwas merken. Siebenlehen wäre nichts weiter als ein verrückter Ausflug gewesen. Ein missglückter Versuch. Idiotisch und kindisch, genau wie Kiana und ihre drei unmöglichen Rätsel. Die Verlockung, ihr gesamtes Vorhaben einfach ungeschehen zu machen, war riesig. Sie musste einfach nur so schnell wie möglich wieder ihren Platz einnehmen. Dort, wo sie hingehörte. Denn dass das nicht Siebenlehen war, machte man ihr ja ununterbrochen klar.
    »Ich schaffe das schon. Vielleicht gibt es Leute, die Schneeketten haben. Oder ich schnalle mir ein paar Langlaufskier an. Wir sind hier doch nicht auf einer Insel!«
    »Das lässt du bleiben.«
    »Hallo? Muss ich das diskutieren?«
    Maik unterbrach sein Tun und äugte zu ihnen herüber. Leon senkte die Stimme. »Du brauchst Holz und Kohlen. Wasser, Konserven, Brot, Fett, Mehl. Kerzen, falls der Strom ausfällt. Jede Menge Streichhölzer. Dicke Decken. Hast du jemals einen Notvorrat angelegt? Weißt du, wie das geht?«
    Nico schüttelte den Kopf. Notvorrat – sie waren doch nicht im Krieg.
    »Ich werde mir Kianas Haus ansehen und dir die Sachen bringen, die du brauchst.«
    Er knallte ein Bündel Briketts auf den Wagen. Vermutlich war die Diskussion damit für ihn beendet.
    »Ich muss telefonieren«, sagte Nico. »Gibt es hier so etwas wie eine … Telefonzelle?«
    Leon grinste. »Es gab mal eine Post.«
    »Und?«, fragte Nico ungeduldig. »Wo ist sie hin?«
    »Sie wurde geschlossen. Aber du kannst jederzeit zu uns kommen.«
    Nico stieß ein prustendes Geräusch aus, in das sie alle Verachtung dieser Welt legen wollte. Leider klang es eher danach, als ob sie sich verschluckt hätte. Leon nahm das nächste Bündel.
    »Du kannst ja schon mal vorgehen und alles checken. Ich komme nach. Der Handyempfang ist übrigens mitten auf der Kreuzung am besten.«
    Die Vorstellung, dass ein halbes Dorf sich auf der Straße zum Telefonieren traf, hatte was. Aber wahrscheinlich saßen alle schön zu Hause im Warmen und skypten oder nutzen ihre Festnetz-Flatrate.
    Sie schlängelte sich vorbei an alten Schubkarren und einer Mörtelmischmaschine, aus der man wohl vergessen hatte, den Rest Zement zu entfernen, denn er hing, bizarr wie gefrorener Kuchenteig, noch immer am Rührer. Kurz bevor sie den Ausgang erreichte, hörte sie ein leises Zischen. Maik winkte ihr mit einem Kunstoffkanister zu. Zögernd trat Nico näher.
    »Du willst hier raus?«, fragte er und vergewisserte sich mit einem schnellen Seitenblick, dass Leon weit genug entfernt war.
    Nico wusste nicht, ob er die Garage oder das gesamte Hochtal meinte. In beiden Fällen war die Antwort Ja. Sie nickte.
    »Es gibt das silberne Grab. So heißt ein Stollen. Er führt durch den Berg auf die andere Seite, runter nach Thale und Halberstadt.«
    »Was ist das silberne Grab?«
    Maik beugte sich zu ihr herunter. »Man findet es einmal und dann nimmermehr. Die Tür verschwindet und es gibt kein Zurück. Aber alle zwölf Jahre geht sie einmal auf und die verschwundenen Kindlein dürfen raus und gucken.«
    »Ah ja.« Langsam sollte sie sich mal Gedanken darüber machen, was mit diesen Leuten los war. Die einzig Normalen waren offenbar die, die die Flucht ergriffen hatten.
    Maik schien darauf zu warten, dass so etwas wie Erleuchtung in ihrem Kopf dämmerte. Als das nicht geschah, kniff er misstrauisch die Augen zusammen. »Du kennst den Weg.«
    »Tut mir leid. Ich bin nicht von hier.«
    »Du warst schon mal oben. Wegen dir haben die Steine geweint und die Vöglein fielen tot vom Himmel.«
    »Wegen mir?«
    »Maik?« Leons Stimme, ärgerlich und laut aus den dunklen Tiefen der zugemüllten Garage, unterbrach die Aufzählung von Nicos weiteren Schandtaten, von denen sie nichts wusste, über die sie aber gerne etwas mehr erfahren hätte. »Kannst du mir mal helfen?«
    »Ja-ha!« Maik schaute sie noch einmal an, als ob er erwarten würde, dass sie gleich tote Vöglein aus den Taschen ihrer Jacke holen und ihm zur Bestätigung unter die Nase halten würde. Es tat ihr leid, ihn zu enttäuschen. Er war harmlos. Allerdings hätten seine Erziehungsberechtigten vielleicht mehr darauf achten sollen, was er so las. Oder trank. Oder rauchte.
    Er rieb sich mit der Pranke übers Kinn, als ob er eine schwerwiegende Entscheidung zu fällen hätte. »Ich kann’s dir zeigen«, flüsterte er. »Ich kenn den Weg auch.«
    »Danke. Ich werde auf dich zurückkommen.«
    »Ich war mal drin. Ich war

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