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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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verlassen, sobald die Straßen wieder frei waren. Und Leon … Leon war so ziemlich der Letzte, mit dem sie sich was auch immer vorstellen konnte. Sie – die Einzelgängerin!
    Aber es fühlte sich richtig an, in dieser Stunde, in diesem Augenblick. Es war, als hätte das Leben einmal kurz den Vorhang zur Seite gezogen, der eine mögliche Zukunft verbarg. Als ob es ihr damit sagen wollte: So könnte es sein, irgendwann. Vielleicht sogar – für dich?
    Oder auch nicht. Der Vorhang fiel, als Leon drei Kilo Schnee und Dreck im Flur verteilte und mit Getöse und Gerumpel die Holzscheite ins Wohnzimmer brachte. Nico nahm die Teekanne und Becher und folgte ihm.
    »Wohin?« Er ließ das Holz in den Korb fallen, was die Frage überflüssig machte. Dann klopfte er sich den Dreck von den Kleidern und verteilte ihn sorgfältig auf dem Teppich. Nico sah ihm stirnrunzelnd dabei zu, sagte aber nichts außer: »Danke. Das war echt nett.«
    Es klang steif und unnatürlich. Wahrscheinlich hatten ihre dämlichen Gedanken ums Richtig anfühlen sie befangen gemacht. Das ärgerte sie, sodass ihr »Tee?« auch noch schnippischer klang, als es ihre Absicht gewesen wäre.
    »Gute Idee.«
    Er ging zum Fenster und spähte hinaus.
    »Es geht los. Oh Mann.«
    Nico stellte die Kanne samt Becher auf einen niedrigen altdeutschen Couchtisch und ging zu ihm. Siebenlehen versank in Dunkelheit, als ob jemand einen Stecker gezogen hätte, dabei war es gerade einmal früher Nachmittag. Der Himmel war verhangen von schweren Wolken, aus denen die ersten Flocken fielen. Dichter und dichter, das Dorf versank hinter einem unwirklichen Schleier aus tanzendem, wirbelndem Schnee.
    »Na toll. Ich hab gerade geschippt«, sagte Nico. Die dunklen Stellen auf ihrem Trampelpfad zum Haus verschwanden bereits unter der Schneedecke.
    »Dein Pech.« Er führte den Becher zum Mund und trank einen Schluck. »Lass uns checken, ob du hier sicher bist. Zieh dir was an.«
    Nicos Stiefel und ihre Jacke waren immer noch feucht. Sie fröstelte, als sie Leon hinaus in den Garten folgte. In aller Ruhe begann er, die hölzernen Fensterläden zu verschließen.
    »Du musst sie noch von innen sichern.«
    »Ist die Kriminalitätsrate hier so hoch?«
    Leon stapfte durch den Schnee zum nächsten Fenster. Die Flocken wirbelten um sie herum und ließen sich auf Haaren und Schultern nieder. In Windeseile sahen sie aus wie die Yetis.
    »Das macht man abends so«, antwortete er. Aber seine Fröhlichkeit kam Nico etwas aufgesetzt vor.
    Anschließend kehrten sie zurück ins Haus, und Leon zeigte ihr, wie sie von innen die Riegel vorlegte und erst dann die Fenster sorgfältig verschloss.
    »Was ist mit dem Keller?«
    »Ich weiß nicht.«
    Sie hatte noch gar nicht genug Zeit gehabt, sich das Haus in aller Ruhe anzusehen. Die Kellertreppe lag am Ende des engen Flurs, direkt gegenüber vom Wohnzimmereingang. Eine nackte, trübe Glühbirne beleuchtete die Stufen. Leon ging voran, Nico folgte ihm.
    Feuchte Luft schlug ihnen entgegen. Sie erinnerte sich, dass sie als Kind öfter hier unten gewesen war, um Äpfel oder Kartoffeln zu holen.
    »Ich glaube, es gibt gar keinen Ausgang.«
    Leon bog um die Ecke und war verschwunden.
    »Jeder Keller hat einen Ausgang!«, hörte sie seine Stimme. »Jedenfalls in alten Häusern. Kommst du?«
    Der Grundriss war exakt der gleiche wie im Erdgeschoss. Anstelle der Küche gab es hier unten eine Vorratskammer mit großen Schütten – sie waren leer. Es roch noch nach Erde, Kartoffeln und Äpfeln. Der Flur endete an einer Tür, die Leon gerade zu öffnen versuchte.
    »Mann, ist das alles verzogen hier!« Er stemmte sich mit aller Kraft dagegen und die Tür flog auf.
    »Was ist das denn?«
    Nico folgte ihm und sah sich staunend um. Der ganze Keller war voll mit – Besen. Es mussten Hunderte sein. Sie lehnten in Bündeln an der Wand oder hingen von der Decke. Sie waren wunderschön. Man sah ihnen an, dass eine Meisterhand sie gefertigt hatte und jedes einzelne Stück ein Unikat war. Bei einem war der Stil etwas knorriger, beim anderen hatte das Hanfseil um die Borsten einen dunkleren Ton. Sie waren unbenutzt. Keine Hand hatte sich glättend um den Schaft gelegt, noch keine Borsten war auf Treppen und Straßen verloren gegangen. In einer Ecke stapelten sich kleinere Handbesen, daneben standen schlanke Haselbesen mit besonders sperrigen Ruten aus Ginster. Bündel von Pferde- und Dachshaaren hingen an der Wand. Andächtig berührte Nico die Borsten eines Strohbesens, der

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